[7]Erster Teil
[9]Dieserpsychologische Roman könnte auch allenfalls eine Biographie genannt werden, weil die Beobachtungen größtenteils aus dem wirklichen Leben genommen sind. – Wer den Lauf der menschlichen Dinge kennt, und weiß, wie dasjenige oft im Fortgange des Lebens sehr wichtig werden kann, was anfänglichklein und unbedeutend schien, der wird sich an die anscheinende Geringfügigkeit mancher Umstände, die hier erzählt werden, nicht stoßen. Auch wird man in einem Buche, welches vorzüglich dieinnereGeschichte des Menschen schildern soll, keine große Mannigfaltigkeit der Charaktere erwarten: denn es soll die vorstellende Kraft nicht verteilen, sondern sie zusammendrängen, und den Blick der Seele in sich selber schärfen. – Freilich ist dies nun keine so leichte Sache, dass gerade jeder Versuch darin glücken muss – aber wenigstens wird doch vorzüglich in pädagogischer Rücksicht, das Bestreben nie ganz unnütz sein, dieAufmerksamkeit des Menschen mehr auf den Menschen selbst zu heften, und ihm sein individuelles Dasein wichtiger zu machen.
[10]InP[yrmont], einem Orte, der wegen seines Gesundbrunnens berühmt ist, lebte noch im Jahr 1756 ein Edelmann auf seinem Gute, der das Haupt einerSekte in Deutschland war, die unter dem Namen der Quietisten oder Separatisten bekannt ist, und deren Lehren vorzüglich in den Schriften derMad. Guion, einer bekannten Schwärmerin, enthalten sind, die zu Fenelons Zeiten, mit dem sie auch Umgang hatte, in Frankreich lebte.
Der Herr von F[leischbein], so hieß dieser Edelmann, wohnte hier von allen übrigen Einwohnern des Orts, und ihrer Religion, Sitten, und Gebräuchen, ebenso abgesondert, wie sein Haus von den ihrigen durch eine hohe Mauer geschieden war, die es von allen Seiten umgab.
Dies Haus nun machte für sich eine kleine Republik aus, worin gewiss eine ganz andre Verfassung, als rund umher im ganzen Lande herrschte. Das ganze Hauswesen bis auf den geringsten Dienstboten bestand aus lauter solchen Personen, deren Bestreben nur dahin ging, oder zu gehen schien, in ihrNichts (wie es die Mad. Guion nennt) wieder einzugehen, alle Leidenschaften zuertöten, und alleEigenheitauszurotten.
Alle diese Personen mussten sich täglich einmal in einem großen Zimmer des Hauses zu einer Art von Gottesdienst versammlen, den der Herr von F[leischbein] selbst eingerichtet hatte, und welcher darin bestand, dass sie sich alle um einen Tisch setzten, und mit zugeschlossnen Augen, den Kopf auf den Tisch gelegt, eine halbe Stunde warteten, ob sie etwa die Stimme Gottes oder dasinnre Wort, in sich vernehmen würden. Wer dann etwas vernahm, der machte es den Übrigen bekannt.
Der Herr von F[leischbein] bestimmte auch die Lektüre[11]seiner Leute, und wer von den Knechten oder Mägden eine müßige Viertelstunde hatte, den sahe man nicht anders, als mit einer von derMad. Guion Schriften, vominnern Gebet, oder dergleichen, in der Hand, in einer nachdenkenden Stellung sitzen und lesen.
Alles, bis auf die kleinsten häuslichen Beschäftigungen, hatte in diesem Hause ein ernstes, strenges, und feierliches Ansehn. In allen Mienen glaubte manErtötung undVerleugnung, und in allen HandlungenAusgehen aus sich selbst undEingehen ins Nichts zu lesen.
Der Herr von F[leischbein] hatte si