II
GÖTTERBILDER –
ALPHAS WAHL
BAUMHAUS
Von der Stunde an, in der ich als Samen auf die Erde fiel, hatte ich nur ein Ziel: diesen Platz nie mehr zu verlassen. Deshalb strecke ich mich nicht nur der Sonne entgegen, sondern bohre mich gleichzeitig in die Finsternis. Ich bin ein Lebewesen dessen Bewusstsein zwischen hell und dunkel pendelt aber aus beidem Kraft schöpft. Meine Blätter sind süchtig nach Licht, meine Wurzeln aber lechzen nach nasser Dunkelheit, fürchten die Sonne. Ich klammere mich an das Stück Erde, zugleich wächst in mir die Angst, meinen Boden zu verlieren. Ich liebe zwar den Wind, wenn er mir voll fremder Botschaften durch die Krone streicht, aber ich hasse den Sturm, der mich entwurzeln könnte. Ich ruhe fest und verschlossen in mir und öffne doch täglich meine Krone dem Licht. Mein Horizont wächst von Jahr zu Jahr, bleibt aber endlich. Wenn der Himmel das Dach dieser Welt ist, so bin ich ein schützendes Haus auf der Erde.
An mir sind Jahrhunderte vorbeigezogen wie Zugvögel über Niemandsland. Die einzelnen Tage sind nur winzige Zeitpünktchen in meiner Geschichte; ich fühle in Jahren und Jahrzehnten. Unzählige Generationen von Lebewesen haben sich von mir ernährt, unter mir Schutz gesucht oder sich in meinem Schatten geliebt. Niemals überkamen mich Zweifel über den Sinn meiner Existenz.
Mein bester Freund ist der warme Regen, der seit Anbeginn auf mich niederfällt. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass er eines Tages ausbliebe. Das wäre das Ende.
Seit wenigen Wochen trage ich ein rotes Kreuz auf meiner Rinde. Es beunruhigt mich, brennt auf meiner Baumhaut. Rauhe Zweibeiner tauchten eines Morgens vor mir auf, hieben sich hemmungslos einen Pfad durch den Dschungel. Sie schrien laut miteinander und lachten verächtlich, bevor sie die Farbe auftrugen. Mich stört nicht das Symbol, denn ich bin aufgewachsen unter dem Kreuz des Südens, das mir manchmal leuchtet wenn die Wolkendecke für wenige Stunden aufreißt und den Nachthimmel freigibt. Nein: es war die brutale Art, mit der sie in unser Reich eindrangen, die mich stört. Ich fürchtete, sie sind nur Vorboten von Schlimmerem.
Aber lass dir erzählen von meinen ersten Tagen an: Ich stamme aus der Frucht eines Limba, der vergangen ist. Ich bin einer der wenigen Bäume des Regenwaldes, die ihren Ursprung auf eine bestimmte Samenmutter zurückführen können. In den meisten Fällen entwickeln sich die Bäume aus Samen, die Vögel oder Fledermäuse mit ihrem Kot frei geben. Mein Samenkorn aber fiel aus der Krone einer Baumriesin hinab zwischen Rinde und Stamm eines absterbenden Baumes. So entging ich dem Tod vieler Samenkörner, die von kleinen Nagetieren zerbissen werden, bevor sie Wurzeln schlagen können. In der immerfeuchten Welt unseres Waldes spaltete si