: Heinrich Mann
: Der Kopf
: Books on Demand
: 9783754345108
: 1
: CHF 0.80
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 738
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieser spannende Roman, der mit allerlei zeitgeschichtlichen Referenzen von vor dem ersten Weltkrieg bestückt ist, fasziniert bis heute Leser auf der ganzen Welt. Auszug: Indes es noch dämmerte, entfaltete sich der linke Flügel des französischen Heeres am Wald hin. Aus dem Wald schwärmten Schützen, sie nahmen schon den Brückenkopf. Die ganze Festung geriet in furchtbare Verwirrung, ihre Verteidiger flohen bis unter die Mauern. Auf einem der niedrigen Hügel, die die Ebene beherrschten, sagte der Kaiser, den Feldstecher vor den Augen: »Der Feind denkt auf jeder der Landstraßen, die drüben sich kreuzen, eine seiner Divisionen entwischen zu lassen, aber er wird sich betrogen sehen, wir stürmen die Brücke, denn er wird die Sonne in den Augen haben. Ein prachtvoller Tag!« Er trällerte aus einer Operette: »Es kann kein Zweifel sein, der Dummkopf fällt herein.« Da nahm er mit einem Ruck das Glas fort: er hatte den linken Flügel weichen gesehen. Sofort schickte er einen seiner Adjutanten hinunter, um die Ursache zu erfahren.

Heinrich Mann (1871-1950) war der ältere Bruder von Thomas Mann und wie dieser auch Schriftsteller. Sein Werk gilt als Geheimtipp unter Literaturkennern, da es weitgehend unbekannt ist.

Erster Teil: 2. Die Ringer


Nach einigen Semestern an Universitäten, deren absichtsvoll erhaltene Romantik ihn in seiner modernen Geistesverfassung nur bestärkt hatte, ging Wolf Mangolf, um seine Studien abzuschließen, 1894 nach München. Dieser junge Doktor verkehrte bald bei mehreren Professoren und mit ihrer Hilfe noch weiter oben. Er glänzte nicht weniger auf Faschings- oder Sommerfesten, als bei den ernsteren Veranstaltungen der kunst- und bildungsbeflissenen Jugend.

Aber in seinen beiden elegant möblierten Parterrezimmern, wo der Lebenskämpfer unbeachtet nur die bescheidenste kalte Mahlzeit aß, streifte er sogleich seinen gutgeschnittenen Rock ab, und in alten, engen Schülerkleidern, die Stirn in Falten, rechnete er und zog die Bilanz. Die glühenden Wangen der Mädchen, die sich hatten küssen lassen, wurden genau so hoch veranschlagt, wie der Einfluß ihrer Väter reichte. Der kalte Händedruck eines jungen Adeligen wog schwerer. Der Beifall, nachdem wir »Tristan« gespielt hatten, ward auf seinen praktischen Gehalt untersucht. Wie viele Beziehungen hatte der Sommer uns eingetragen, wohin führte jene Einladung auf das Land, welche Aussichten auf offizielle Beachtung eröffnete solch' eine rechtzeitige Heuchelei?

Graf Lannas, »mein Kollege Graf Lannas«, hatte wörtlich gesagt: »Jeder junge Mann, der unsere tatsächlichen Zustände heute richtig beurteilt, darf annehmen, daß irgendwo gewisse Personen, die hierzu in der Lage sind, ein Auge auf ihn haben.«

Langsam und deutlich, vorigen Dienstag sieben Uhr, auf der Toilette. War es dennoch nur so hingesagt? »Am Mittwoch nahm er meine Einladung zum Frühstück an, am Donnerstag kam er. Er schien nicht verwundert, daß es Kaviar gab. Die Bürgschaft auf dem Wechsel verlangte er wahrhaftig von gleich zu gleich. Ich bin felsenfest überzeugt, daß er mich nicht mit ihr hängen läßt. Ein Graf Lannas, Sohn des Botschafters! Früher oder später erfährt es der Vater. Man hat ein Auge auf mich.«

Was nicht hinderte, daß die Bürgschaft den Hals kosten konnte! »Ich bin harmlos wie ein Kind. Was machen sich jene Leute noch aus dem Plebejer, der ihnen gedient hat.« Heiß emporsteigend der Haß gegen die Mächtigen, – aber selbst den Haß übertäubte der durchbohrende Schmerz: Du bist klein, bist abhängig von Wesen, die nach dem Recht der Natur Dir untergeben wären. Du mußt Dich in ihre Art einfühlen, Dein besseres Wissen hat sich auszugleichen mit ihrer Gesinnung, Du verleugnest Dich täglich. Wie lebst Du!

Den Brechreiz aufhalten, sich hinstrecken und die Augen schließen. Da erschien hinter den Lidern der Freund, verloren, ausgemerzt seit Jahren, von fern wie sehr verachtet, – aber träte er jetzt ein, Du fielest auf die Knie. Er würde sein maskenloses Gesicht haben, das die wahren Gefühle furchten, und es würde Reinheit fordern, auch von Dir. »Von mir! Was weiß er von mir. So einer fährt wie ein Tor durch die Welt, er will nichts, ihn brennt nichts, ihn reißt nichts hinab. Den Zwiespalt, worin Verzweiflung und Tod lauern, er sieht ihn garnicht. Der hat es leicht, der ist kein Ehrgeiziger!«

Und der Ehrgeizige neigte sich gegen sein Spiegelbild, diese bestgekannten Züge. Zu solcher Stunde waren sie von Selbstqual vertieft und zurückgesunken unter der breiten gelben Stirn, einer erschlafften Greisenstirn. Die Augen begegneten sich selbst mit bangem Haß. So saß er, und sein Geist durchmaß nun glühend, nun mit Schaudern, Erfolg,