: Tankred Kiesmann
: Der Seelenbanner von Ishkra
: Chiara-Verlag
: 9783961272761
: 1
: CHF 7.10
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: Fantasy
: German
Ein Kontinent in einer Welt, die mittelalterlich bis früh-neuzeitlich anmutet. Es gibt mehrere Königreiche und das Kaufmannsreich Ishkra. In den Randgebieten leben unabhängige Stämme, Naturvölker und diverse magische Wesen. Der Magier Roduan ist auf der Suche nach der Unsterblichkeit. Sein Gehilfe Ivan kann die Aura von Menschen sehen, die eine sogenannte Urseele tragen. Gemeinsam finden sie heraus, dass diese Seelen der Schlüssel zur Unsterblichkeit sind. Sie begeben sich auf eine gefährliche Reise durch den Kontinent, um Menschen zu finden, die Träger solcher Urseelen sind. Doch es sind unruhige Zeiten, denn es herrscht Krieg zwischen den Reichen und ein Machtkampf zwischen den Fraktionen der Magier erschüttert die Welt . . . Werden Roduan und Ivan genügend Seelenträger finden, um das magische Ritual der Extraktion vollziehen zu können? Und kann Roduan die Unsterblichkeit erlangen?

Tankred Kiesmann ist das Pseudonym eines Autors, der in der Nähe von Straubing lebt. Unter seinem Realnamen ist er hauptsächlich als Autor, Schreibcoach und Ghostwriter im Bereich der Sachliteratur tätig. Unter seinem Pseudonym ist er schon im Teenageralter als Verfasser von Gedichten in Erscheinung getreten. Später sind ein Kurzroman, ein Episodenroman und diverse Kurzgeschichten dazugekommen. Der Episodenroman ist unter dem Namen 'Das steinerne Gewissen' veröffentlicht worden.
Isenia, nördlich der Stadt, 1. Tag im Monat der Ähre im Jahre 452 nach Überwindung der Feuerdrachen Die Ruine des alten Tempels lag mitten im Wald. Sträucher, Farne, Kletterpflanzen und kleine Bäume wucherten überall. Die Natur hatte sich im Laufe der Jahrhunderte das Terrain vollständig zurückerobert. Die Sonne des Herbstnachmittags schien mit voller Kraft. Ein leichter Wind brachte die grünen Blätter in Bewegung und sorgte vielerorts für ein stimmungsvolles Spiel von Licht und Schatten. Indira liebte diesen Ort. Hier hatte sie sich das erste Mal heimlich mit Sidon getroffen und Liebesschwüre ausgetauscht. Auch jetzt noch suchten sie die Ruine häufig für ein paar ungestörte romantische Stunden auf, obwohl ihre Hochzeit schon längst beschlossene Sache war. Sie kam aber auch gern allein hierher, um ihren Gedanken nachzuhängen. Der Wald gehörte zum Land der Fellesis, Sidons Familie. Der Tempel war aus einer Zeit, in der es viele wilde Stämme gab und noch viel mehr Götter angebetet wurden. Er war klein und schlicht gestaltet. Eine erhöhte Fläche von etwa zehn mal zwölf Schritten erreichte man auf allen vier Seiten über fünf Steinstufen. An den Längsseiten waren jeweils drei in Zerfall begriffene Säulen erhalten, teils mannshoch, teils nur Stümpfe. Im Zentrum stand ein massiver Steinblock mit einer schalenförmigen Vertiefung in der Mitte, der als Altar gedient hatte. An der hinteren, nördlichen Stirnseite ragten die Überreste einer Statue auf. Es war die Darstellung eines Kriegers, dem an der linken Körperseite eine Kopfhälfte und der Arm fehlten. Der rechte Arm war an den Körper angelegt und trug ein Schild, auf dem die Andeutung einer nicht mehr lesbaren Inschrift zu erkennen war. Der Boden wies vielerorts Risse und Bruchstellen auf. Sträucher und Bäume wuchsen aus den Spalten. Um die Säulen und die Statue wanden sich Efeugewächse, nur der Steinaltar behauptete sich gegen das wuchernde Grün. Indira erklomm die vorderen Stufen und schritt langsam zum Altar. Beim Näherkommen stutzte sie. In dem Becken waren dunkle Flecken zu erkennen, die bei ihrem letzten Besuch noch nicht da gewesen waren. Vorsichtig strich sie mit ihrer Hand über die braunroten Muster. Sie waren trocken. Indira schluckte. Sie war sich sicher, dass es sich um Blutflecken handelte. Aber was hatte das zu bedeuten? Hatte hier jemand ein Opferritual abgehalten? Wurde der Tempel wieder genutzt? Sie sah sich prüfend um und entdeckte in Richtung der Statue ein paar weitere Flecken auf dem Boden. Indira ging dieser Spur nach. Neben der Skulptur hielt sie inne und nahm den Wald in Augenschein. Weiter vorn schien sich jemand brachial einen Weg durch das Gestrüpp gebahnt zu haben. Mit einer leichten Beklemmung, aber von ihrer deutlich stärkeren Neugier getrieben, folgte sie der kleinen Schneise. Nach etwa zwanzig Schritten hielt sie erschrocken den Atem an. An einem Baum saß ein alter Mann, die Beine weit von sich gestreckt. Er war gekleidet in einen edlen Kaftan, der nur noch in Fetzen am Oberleib hing. Er war blutüberströmt, Brust und Hals waren aufgerissen. Der Kopf war zur Seite gesackt. Auf seinem weißen Haarschopf saß ein Rabe, der sich an dem Auge des offensichtlich Toten gütlich tat. Indira konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken und schlug sich die Hand vor den Mund. Der schwarze Vogel flatterte erschrocken davon. Sie zwang sich zur Ruhe und näherte sich der Leiche. Der Mann war sicherlich schon einige Zeit tot. Was vom Gesicht übrig war, hatte eine wächsern-bläuliche Färbung. Der Greis kam Indira bekannt vor, aber erst mit dem zweiten genaueren Blick erlangte sie Gewissheit, und sie erkannte ihn. 'Bei Habitreju, das ist Orson', entfuhr es ihr. Was hatte der Großonkel ihres Verlobten hier nur gewollt? Die Wunden an Hals und Brust sahen aus wie von aasfressenden Raubtieren oder Raben hinterlassen. Die Blutspuren im Tempel deuteten darauf hin, dass Orson schon vorher Verletzungen davongetragen hatte, sich dann bis zu diesem Baum geschleppt hatte und hier gestorben war. Ob er die ersten Verwundungen einem tierischen oder einem menschlichen Mörder zu verdanken hatte, ließ sich nicht sagen. Indira fiel eine schwarz gefärbte Stelle unter dem Auge auf, an dem sich eben noch der Rabe zu schaffen gemacht hatte. Was war das? Erneut stieg das beklemmende Gefühl in ihr hoch, aber auch diesmal siegte wieder ihre Neugier. Vorsichtig streckte sie die rechte Hand aus, um die dunkle Stelle zu berühren. Kaum ertasteten ihre Finger die Haut in Orsons Gesicht, löste sich die Färbung von dem Antlitz des Toten und manifestierte sich in einer kleinen Wolke, die blitzschnell in Indiras vor Staunen geöffneten Mund huschte. Indira blinzelte kurz und musterte das Gesicht des Greises nochmal intensiv. Die schwarze Farbe war verschwunden. Mit einem Mal kamen ihr Zweifel, ob sie diese dunkle Stelle wirklich gesehen hatte oder ob sie von ihrer eigenen Wahrnehmung genarrt worden war. Sicher war sie sich allerdings bei der Tatsache, dass sie schleunigst nach Isenia zurückkehren musste, um Sidon und seiner Familie von ihrem Fund zu berichten. In den Eisbergen von Dyria, nördlich des Eiswassers, 7. Tag im Monat des Kohls im Jahre 453 nach Überwindung der Feuerdrachen 'Das hier ist gut', brummte Voromir, 'ich denke, hier kann man was aufbauen.' Er ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen und schaute sich zwischendurch immer wieder prüfend die Gesteinsbrocken an, die er in seinen klobigen Händen hielt. Seine Gefährten nickten zustimmend. Barofir und Godahar waren Brüder, was man ihnen auch ansah. Beide waren sie von kräftiger, gedrungener Gestalt mit breiten Schultern und muskulösen Oberarmen, die von dicken Felljacken verborgen wurden. Ihre struppigen schwarzen Haare lugten unter Fellmützen hervor. Buschige Augenbrauen wucherten oberhalb der dunkelblauen Augen in wettergegerbten Gesichtern, die mit fleischigen Nasen und lang gewachsenen Vollbärten Wildheit ausstrahlten. Barofir war der etwas Ältere, beide waren aber über zwanzig Jahre jünger als Voromir. Auch er hatte die typische Statur eines Dyrianers aus dem Bergvorland, dem Menschenschlag, der seit Generationen mit dem Bergbau verbunden war. Alle drei hatten sie jeweils eine Spitzhacke auf dem Rücken, die eine Mischung aus Waffe und Werkzeug war. Eine Seite war als Hacke ausgebildet, die andere als Streitaxt. Darüber hatten sie eine Armbrust geschnallt. 'Ich glaube, dass wir hier sowohl Eisen- als auch Kupfererz abbauen könnten', führte Voromir weiter aus. 'Nach der Beschaffenheit der Steine und der Felswand sollten wir hier einen Stollen treiben können, in dem wir hauptsächlich Eisenerz holen könnten. Und zweihundert Schritt weiter unten sollten wir einen Kupfererzstollen planen.' Er steckte zwei der Gesteinsbrocken in seine große Umhängetasche und strich sich nachdenklich durch seinen grauen Vollbart. Sie standen an einer braunroten Felswand, die sich etwa zweihundertfünfzig Schritte in die Höhe erhob und sich eine Drittelmeile in leichter Krümmung hinzog. Die Felsformation bildete die Nordseite eines nach Osten offenen Talkessels. Die Südwand, knapp eine Viertelmeile gegenüber, hatte eine graue Färbung und war deutlich zerklüfteter, einige Spalten in der Wand schienen sogar tief in den Berg einzuschneiden. Sie sahen aus wie Klamms, in das Gestein getriebene Wege, die ins Unbekannte führten. In Richtung Westen ging der relativ ebene Untergrund, auf dem sie gerade standen, nach etwa dreihundert Schritten in einen mittelsteilen Anstieg über, der knapp eine halbe Meile weiter auf einen Bergkamm zulief. Im oberen Teil unterhalb des Kamms waren einige weiße Flecken zu sehen, erste Ausläufer des Permaschnees der Eisberge. 'Wir könnten da vorn, relativ mittig auf dem Plateau, die Umschlagstation einrichten', meinte Barofir, 'wir brauchen zwei Förderbänder von den Stollenausgängen kommend. Und Platz genug für Hütten ist auch da.' 'Genau', stimmte Voromir zu, 'wir müssen nur für den Transport von hier weg sorgen. Wir haben gute zwei Tagesmärsche von Gilesia bis hierhin gebraucht. Mit Ochsenkarren kann es doppelt so lange dauern. Wir müssen zwei oder drei Raststationen einrichten und mir fallen mindestens vier Stellen ein, wo wir wegetechnisch etwas verändern müssen, damit Ochsenkarren passieren können.' Godahar wiegte zweifelnd den Kopf un