: Amy Butcher
: Mothertrucker - Unterwegs auf der einsamsten Straße Amerikas
: HarperCollins
: 9783365002179
: 1
: CHF 14.60
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

»Glücklich ein ist ein radikaler Akt« - die Geschichte einer Fahrt in ein mutigeres Leben


Nach außen führt Amy ein Bilderbuchleben:eine dreißigjährige Dozentin an einem kleinen College in Ohio, an dem sie Women's Literature unterrichtet. Sie besitzt ein eigenes Haus mit Garten und führt eine liebevolle Beziehung. So scheint es. Doch Daves Wutausbrüche werden gewalttätiger - und Amys Leben verkehrt sich zum Spießrutenlauf. Bis sie eines Abends den Instagram-Account von Joy »Mothertrucker« Wiebe entdeckt - der einzigen Frau, die den Dalton Highway fährt. Für Amy verkörpert sie alles, was sie sich gerade wünscht: Unabhängigkeit, Freiheit, ein Leben ohne Angst.

Kurze Zeit später ist sie mit Joy auf dem Weg nach Alaska. Sechs Tage verbringen die beiden Frauen gemeinsam in der rauen Landschaft und reden. Zurück in ihrem Leben, trifft Amy endlich eine Entscheidung. Joy kommt vier Monate später ums Leben. Dies ist ihre Geschichte; gewidmet allen Frauen, denen jemals Gewalt angetanwurde - und wird.


Furchtlos und fesselnd - über häusliche Gewalt und die Freundschaft zweier Frauen, die sich aus ihr befreien



AMY BUTCHER ist Dozentin für Literatur und eine US-amerikanische Journalistin. Ihre Artikel erscheinen u. a. in der New York Times, The Washington Post und Harper's Magazine. Mit ihren drei Hunden, phantastische Tierwesen, lebt sie in Ohio.

1.


Erst einige Wochen später, eingehüllt in den süßen Duft ausAuntie Anne’s Backshop und das künstliche Licht der Leuchtstoffröhren im Flughafen von Columbus, lasse ich den Gedanken zu, wie vollkommen verrückt das ist, was ich gerade tue: Ich fliege einmal quer durchs Land, um in Alaska eine Frau zu treffen, die ich auf Instagram entdeckt habe, eine Ice-Road-Truckerin, die sich »Mothertrucker« nennt. Obwohl ich ihr obsessiv folge, ist sie im Grunde noch eine Fremde für mich, nicht anders als all die Männer und Frauen, die hier im John Glenn Airport die Zeit totschlagen auf den begehrten Plätzen nahe den Steckdosen oder indem sie ihre zehntausend Schritte vollmachen oder sich beim Kundenservice lautstark über die Stand-by-Wartelisten beschweren, während die in Empathie geschulten Mitarbeiter eisern lächeln.

Auch ich übe mich in Empathie. Ich denke, eine gewisse Offenheit – ein gewisses Verständnis – wird mir helfen, wenn ich Joy treffe, wenn wir zu zweit im Kokon ihrer Fahrerkabine mindestens vierzehn Stunden miteinander verbringen werden, aus denen, wie sie sagt, auch leicht mal achtundvierzig Stunden werden können, abhängig von der Witterung oder den anderen Truckern oder dem Sagavanirktok River. Manchmal kommt es auch einfach auf die Straße an. Der James W. Dalton Highway ist die gefährlichste Straße Amerikas, vierhundertvierzehn Meilen Schotterpiste mit ein paar asphaltierten Abschnitten, die sich von Fairbanks aus hoch nach Norden bis zur Industriestadt Deadhorse und zu den Ölfeldern von Prudhoe Bay zieht. Jedes Jahr sterben mehr Fahrer auf dieser Strecke als irgendwo sonst in Amerika, hauptsächlich, da sich Mutter Natur auf den vielen Meilen von ihrer schlechtesten Seite zeigt. Sie führen durch einsame, entlegenste Wildnis, die Straße ist häufig verregnet oder spiegelglatt oder verschwindet im späten Frühling unter einer dichten Schneeschicht, sodass man nicht mehr sagen kann, wo der Boden aufhört und die Luft beginnt, was Straße ist und was Tundra, und wo alles verschwimmt, kann auch ein Menschenleben leicht verschwinden.

Die Wahrheit ist, dass ich nach einer Rettung gesucht habe, und Joy Mothertrucker erschien mir wie im Traum durch den perfeken Instagram-Filter, jedes Foto eine weitere Tür, die ich des Nachts öffnete, um zu entfliehen.

Joy ist auf Instagram eine Berühmtheit, auch wenn sie sich selbst nie so bezeichnen würde.

»Die Leute mögen einfach meine Fotos«, sagte sie bei unserem ersten Gespräch.

Ich stolperte an einem Winterabend über ihren Account, an dem ich nichts ahnend durch Fotos von perfekt angerichteten Tellern mit Pasta und hübschen Kindern mit schlafzerzausten Löckchen scrollte, von weißen Designer-Wohnzimmern und süßen Goldendoodles. Ich stieß auf eine frischgebackene Fünfzigjährige mit dem Gesicht von Kate McKinnon und einem Körper wie einem Ausrufezeichen – drahtig, kompakt, bereit für die Augen der Welt –, die einzige weibliche Ice-Road-Truckerin im ganzen Land, eine Frau, die sich ein Leben aufgebaut hatte, indem sie riesige Tanklaster den James W. Dalton Highway entlangfuhr und seine außergewöhnliche Schönheit dokumentierte: naturbelassen, schneebedeckt und eisblau.

Joy nennt diesen eiskalten Ort denHimmel.

Sie sagt, der Highway seinahezu heilig.

Mir kommt sie gottesgleich vor.

Dass Joy derartigen Neid in mir auslöst, mag absurd klingen. Unterm Strich bin ich genau die Art Frau, mit der die amerikanische Gesellschaft gut zurechtkommt: eine dr