: Jennifer Lucy Allan
: Das Lied des Nebelhorns Eine Klang- und Kulturgeschichte
: mareverlag
: 9783866488038
: 1
: CHF 16.00
:
: Musikgeschichte
: German
: 336
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein dröhnendes, einsames Geräusch, das in die Weiten des Meeres hinaushallt: Als Jennifer Lucy Allan zum ersten Mal bewusst das kolossale Gebrüll des Nebelhorns hört, ist dies der Beginn einer Obsession und einer Reise tief in die Geschichte eines Klangs, der die Identität von Küstenlandschaften auf der ganzen Welt von Schottland bis San Francisco geprägt hat. Der unvergleichliche Sound des Nebelhorns erzählt von Schiffswracks und Leuchtturmwärtern, von der Industrialisierung und von fantasievollen Beschallungssystemen für Küsten-Raves. In diesem mitreißenden, so poetischen wie sachlich fundierten Buch verknüpft die Autorin ihr musikalisches Expertinnenwissen mit ihrer persönlichen Faszination für das Nebelhorn als Maschine, als Instrument und als Symbol einer vergangenen Ära.

Jennifer Lucy Allan ist Autorin, Journalistin und Radiomoderatorin und hat ihre Doktorarbeit über Nebelhörner verfasst. Seit mehr als zehn Jahren schreibt sie über Underground- und experimentelle Musik, u.a. für The Guardian, The Quietus und The Wire. Für BBC Radio 4 schrieb und präsentierte sie den Beitrag »Life, Death and The Foghorn«. Außerdem leitet sie das Archiv-Plattenlabel Arc Light Editions. »Das Lied des Nebelhorns« ist ihr erstes Buch.

Prolog


22. Juni 2013

Dann setzt das Nebelhorn ein.

Sein unvermittelter und furchterregender Zwischenruf dringt aus zwei rechteckigen schwarzen Mäulern, ein ungeheurer metallischer Aufschrei, der ohrenbetäubend laut ist. Er flutet meine Ohren und erschüttert meine Eingeweide. Ich bin überwältigt. Ich erstarre. Unter den Ärmeln stellen sich auf meinen Armen kleinste Härchen auf. Der klagende Trompetenstoß erstirbt in einem unwirschen Grunzen, das mich aus meiner Schockstarre reißt. Es folgt eine endlose Sekunde allumfassender und vollständiger Stille, bis die mich umstehende Menge in jenes aufgekratzte Lachen verfällt, das für Momente des ehrfürchtigen Schauderns reserviert ist. Was wir erleben, ist aurale Auslöschung.

Im Juni 2013 fuhr ich gemeinsam mit Freunden von London in den Nordosten Englands, um dasFoghorn Requiem zu verfolgen, eine gigantische Aufführung unter freiem Himmel, an der drei Blechbläserensembles mit insgesamt 65 Musikern beteiligt waren, die auf den Klippen am Leuchtturm von Souter Point in South Shields Aufstellung bezogen hatten. Verstärkung erhielten sie durch eine bunt gemischte Flottille aus mehr als fünfzig Schiffen, die auf der Nordsee dümpelten, darunter eine Fähre und Fischerboote, Segel- und Rettungsboote, Jachten mit einem und mit zwei Masten sowie Schlepper. Das Zentrum bildete das allmächtige Nebelhorn von Souter Point, das aus einer Menschenmenge heraus ertönte und seine Stimme über die Köpfe der Bläser hinweg zu den Schiffen und von dort weiter bis zum Horizont erklingen ließ, eine Stimme, für die komprimierte Luft aus von einem massigen Dieselmotor betriebenen Lungenflügeln gepresst wurde.

Es war ein sonniger und windiger Tag, der das Publikum unter einem blauen Himmel frösteln ließ. Das hatte si