Die Schüsse fielen kurz nach vier Uhr am Morgen.
Etwas hatte Lena aus einem angenehmen Traum geweckt. Verschlafen und noch halb in einer Zwischenwelt schob sie die Hand auf die andere Seite des Bettes. Es war leer, das Laken warm. Sie drehte sich um, als sie Glas splittern hörte.
»Gerd?«, rief sie in die Dunkelheit des Schlafzimmers hinein. Niemand antwortete. Von draußen drang das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens an ihr Ohr. Es entfernte sich schnell. Plötzlich fing ihr Herz an, heftig zu schlagen. »Gerd?«, rief sie, dieses Mal lauter. Gleichzeitig hob sie die Beine aus dem Bett, tastete nach ihren Flip-Flops, fand sie nicht und ging, auf einmal beunruhigt, barfuß zur Schlafzimmertür. Sie stand offen, wie immer. Gerd mochte keine geschlossenen Türen im Haus. Mit Ausnahme seines Arbeitszimmers, das er sich auch hier eingerichtet hatte. Der weitläufige Bungalow, in klarem, skandinavisch anmutendem Design, war dunkel. Lena lief durch den Flur ins Wohnzimmer, dessen verglaste Längsseite in den Garten zeigte. Die Solarleuchten warfen ein mattes messingfarbenes Licht auf die Rasenfläche. Lena näherte sich der Tür. Sie wunderte sich, Gerd dort draußen nicht sitzen zu sehen. Sie kannte seine Gewohnheiten inzwischen genau. Er stand fast immer zwischen vier und fünf Uhr morgens auf. Ging auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Manchmal trank er einen frühen Kaffee dazu, bevor er sich für eine weitere Stunde zu ihr legte.
»Es ist die perfekte Zeit für mich. Die Nacht begibt sich zur Ruhe und der Lärm des Tages hat noch nicht begonnen«, sagte er immer. Es war die Zeit, zu der er früher häufig nach Hause, nach Bad Homburg, gekommen war aus einem seiner Clubs. Seine Entscheidung, sie aufzugeben, war vor wenigen Monaten gefallen. Sie hatte viel mit Lena und seiner Liebe zu ihr zu tun. Auch wenn diese Liebe anfangs kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hatte.
Das Licht sickerte grau wie flüssiges Blei durch die große Fensterfront. Die Schiebetür zur Terrasse war halb geöffnet, die kühle Nachtluft drang herein. Lena fröstelte. Nicht nur deswegen. Dort draußen lag etwas. Es hatte die Form eines Körpers. Auf einen Schlag war die Angst da und Lena rannte. Der Stuhl, auf dem Gerd gesessen hatte, war mit ihm umgekippt. Einer seiner Lederslipper war ihm vom Fuß gerutscht. Eine glimmende Zigarette lag auf den Holzplanken. Ein Becher stand daneben, fast noch voll mit schwarzem Kaffee. Gerd lag auf der Seite, unter seinem Kopf hatte sich eine rote Lache gebildet. Auf seiner Brust zerfloss das Paisleymuster seines Morgenmantels und Lena erkannte schockiert, dass es ein schnell größer werdender Blutfleck war. Sie schrie entsetzt auf, bevor sie neben ihrem Freund auf die Knie fiel, sein Gesicht berührte. »Gerd! Gerd! Hörst du mich?« Er antwortete nicht und ihr wurde so kalt, als hätte man sie mit Eis übergossen. Sie sprang auf, rannte zurück ins Haus und wählte den Notruf.
Polizei und Notarzt waren fast gleichzeitig gekommen, und das sonst so behaglich stille Haus hatte sich in einen Ort voller nervöser Anspannung verwandelt, an dem Menschen eilig hin- und herliefen, sich fremd klingende Worte zuriefen oder sich gedämpft unterhielten. Jemand hielt Lena an den Schultern fest, als Gerd auf einer Trage zuerst durch den Raum und dann in den Krankenwagen geschoben wurde.
»Sie dürfen später zu ihm, im Moment können Sie nichts für ihn tun. Aber wir brauchen Sie hier. Wir haben Fragen.« Ein Polizist mit beruhigender Stimme, er war ungefähr in Gerds Alter.
»Sind Sie seine Ehefrau?«
»Lebensgefährtin.«
Ihre Hände wurden auf Schmauchspuren untersucht. Man nahm ihre Fingerabdrücke. Sie ließ es wie in Trance geschehen. Sie wurde gefragt, ob sie jemanden gesehen hatte. Sie schüttelte den Kopf. Die Nachbarn vielleicht? Alle weiter entfernt. Das