DER GEFRIERSCHRANK DER HERZEN
Wolfgangs Herz lag in einem Gefrierschrank, zusammen mit denen der anderen Häftlinge. Er stellte sich vor, wie sie sortiert nebeneinanderlagen. Jedes Herz hatte eine Nummer. Die Nummer, die jedem am Anfang der Untersuchungshaft zugeteilt worden war. Sein Herz mit der Nummer 392 lag in der Mitte ganz vorne im Gefrierschrank. Wie die anderen pulsierte es noch unter einer Schicht aus dünnem Eis. Es schimmerte leicht rosa. Die Blutgefäße verästelten sich, und es schien, als ob die Venen und Arterien auch eine Verbindung zu den anderen Herzen im Gefrierschrank hatten. Das Blut strömte eiskalt durch alle hindurch. Auch wenn sie ihm seinen Willen herausreißen und brechen konnten. Mit seinem Herzen schafften sie es nicht, sosehr sie sich auch bemühten.
Wenn es besonders schlimm war, stellte sich Wolfgang sein Herz im Gefrierschrank vor und wie unversehrt es war. Diese Vorstellung, dass es für die kommenden Jahre tiefgefroren dort lag, beruhigte ihn. Er wusste, dass er es wieder auftauen konnte, wenn die Zeit gekommen war. Er hatte noch keine Vorstellung, wann das sein würde. Ob in wenigen Jahren, einer halben Ewigkeit oder in einer Zeitspanne, die nur ein lächerlicher Bruchteil seines Lebens sein würde.
Letztendlich wusste er nichts von diesem Staat und traute dessen Dienern nun doch alles zu. Die Schläge und Misshandlungen hallten noch lange nach, auch wenn sie nicht bis zu seinem Herzen vorgedrungen waren. Wolfgangs Körper war es, der stellvertretend alles Leid in sich aufnahm und einsaugte.
Nach den ersten Verhören konnte er noch stundenlang auf der weißen Linie stehen bleiben, ohne einzuschlafen. Später täuschte er die Wachheit nur vor, wenn im halbstündigen Rhythmus der Wärter an seiner Zelle vorbeikam. Er war dann eine Katze, die mit nur einer Gehirnhälfte schlief.
Irgendwann schaffte er auch das nicht mehr. Von einem Moment auf den anderen klappte er wie ein Taschenmesser in sich zusammen und blieb, ohne sich abzufangen, auf dem Boden liegen. Wenn er Glück hatte, konnte er eine halbe Stunde schlafen. Spätestens dann brüllte ihn der Wärter von draußen an:392, aufstehen! Und wenn Wolfgang nicht reagierte, schloss er die Zelle auf, kam herein und richtete ihn mit einem Schlag auf den Rücken wieder auf.
Warum kamen Sie in die Deutsche Demokratische Republik?
Ich kam zurück, um für immer hierzubleiben und wieder zu meiner Mutter zurückzukehren.
Ihre Aussagen sind unglaubwürdig. Sagen Sie wahrheitsgetreu über die Gründe Ihrer Fahrt in die Deutsche Demokratische Republik aus!
Ich verfolgt