1. KAPITEL
Lucinda Myles geriet normalerweise nicht in Panik. Aber fünf Tage vor Weihnachten im kältesten Dezember, den der Nordwesten Englands seit Jahrzehnten erlebt hatte, kein Hotelzimmer zu haben, war nun wirklich kein Zuckerschlecken. Die Stadt Chester war voll mit Weihnachtskäufern und den Wissenschaftlern, die an der Konferenz „Geschichte fit machen für die Zukunft“ teilnahmen. Wenn das Royal Court Hotel ihre Reservierung nicht fand … Tja, dann brauchte sie einen neuen Plan. Erst einmal würde sie jedoch hartnäckig dranbleiben.
„Ich verstehe ja, dass Sie ausgebucht sind“, sagte Luce. „Aber eines der Zimmer sollte für mich reserviert sein. Dr. Lucinda Myles.“
„Leider haben wir keine Reservierung unter diesem Namen für heute. Und auch nicht für einen anderen Tag.“
Luce biss die Zähne zusammen. Das hatte sie davon, dass sie ihre Zimmerreservierung den Konferenzveranstaltern überlassen hatte. Sie hätte es besser wissen sollen.Verantwortung übernehmen. Die Kontrolle behalten. Lebensmaximen seien das, hatte ihr Großvater immer gesagt. Ein Jammer, dass sie die Einzige in der Familie war, die zugehört hatte.
Als wollte es ihr beipflichten, summte ihr Telefon in der Jackentasche. Seufzend holte Luce es heraus, obwohl sie bereits ahnte, dass es ihr Bruder Tom war. „Und heute Nacht ist überhaupt kein Zimmer frei? Auch keine Suite?“
„Nichts. Das Hotel ist voll belegt. Es ist Weihnachten, falls Sie es noch nicht bemerkt haben. Und jetzt, wenn ich Ihnen nicht weiter behilflich sein kann …“ Die Blondine blickte über Luce’ Schulter.
Luce sah sich um. Hinter ihr wartete eine lange Menschenschlange darauf, einzuchecken. Die Neuankömmlinge würden eben warten müssen. Sie würde sich von diesem luxuriösen Hotel mit dem Marmorboden, dem ganz in Gold geschmückten Weihnachtsbaum, den Kronleuchtern und den Geschäftsleuten nicht einschüchtern lassen. „Eigentlich könnten Sie nachfragen, ob in einem anderen Hotel in der Stadt ein Zimmer frei ist. Da meine Reservierung bei Ihnen verloren gegangen ist.“
„Bei uns ist nichts …“, begann die Blondine, doch Luce schnitt ihr mit einem Blick das Wort ab. „Ich werde mich erkundigen.“
Während die Blondine ihren Kollegen zu sich winkte, damit er half, die Schlange an der Rezeption abzubauen, fuhr Luce mit dem Finger über den Touchscreen ihres Telefons. Drei Textnachrichten und eine Voicemail. Alle in den vergangenen zwanzig Minuten. Sie scrollte zur ersten Textnachricht. Natürlich war sie von Tom.
Hat Mum mit dir über Heiligabend gesprochen? Kannst du das machen?
Heiligabe