In dem nichts läuft, wie es soll
Völlig ahnungslos, dass seine Lebensuhr ablief, bewegte sich Iskal ben Wenge durch seine Räumlichkeiten, trank erst an einem Tisch mit zierlich gedrechselten Beinen einen Schlummertrunk und lehnte sich danach für eine kleine Weile ans offene Fenster, um die Sterne am Himmel zu betrachten. Er trug ein Schlafgewand aus feinstem Leinen, ein so zartgewebtes Tuch, dass das Kerzenlicht seinen schlanken Körper hindurchschimmern ließ. Das Gewand war strahlend weiß gebleicht worden und ein lindgrünes Seidenband hielt die Hose mit den weit geschnittenen Beinen über den Hüften. Im selben Lindgrün waren der Halsausschnitt des Oberteils und die Säume aufwändig mit zahlreichen winzigen Blümchen und Ranken bestickt worden. Zu den turmalingrünen Augen passendes dunkelbraunes Haar fiel Iskal auf die Schultern, tagsüber fasste er es im Nacken mit einem Band zusammen. Der junge Mann war recht ansehnlich und eigentlich mit zwanzig Jahren viel zu jung, um zu sterben. Doch den Zeitpunkt seines Todes bestimmte nicht Iskal, sondern andere.
Offenbar entschied sich der junge Mann, dass er genügend Zeit mit Sternengucken verbracht hatte, denn er gähnte, streckte sich, schloss die Fensterläden und wanderte auf nackten Sohlen zum breiten Bett. Ein wahrer Wust aus bunten Schleiern dekorierte die gemütliche Lagerstatt und umschloss sie von drei Seiten. Leise vor sich hinmurmelnd kroch er unter die Seidendecken und zwischen unzählige Kissen. Die dicken Kerzen in ihren eisernen Haltern ließ er brennen, eine Verschwendung, über die Majid in seinem Versteck nur mit dem Kopf schütteln konnte.
„…bitte ich dich inständig, allmächtiger Ru, mir angenehme Träume zu schenken, damit ich morgen erholt erwache …“
Ah! Iskal betete zum Gott der Nacht. Der kicherte gewiss in sich hinein, weil es für Iskal keinen Morgen mehr geben würde.
Majid grinste und wartete eine Weile ab, bis er sicher war, dass er seinen Auftrag ungestört durchführen konnte. Vor der Tür von Iskals Gemächern war es bereits länger still und auch vom Garten her drangen keine Geräusche zu ihm hinauf. Regelmäßige Atemzüge deuteten darauf hin, dass Iskal schon halb am Schlafen war. Majid zog eines der Messer, die er bei sich führte, und schlich lautlos durch das Gemach. Der mehrlagige Schleierstoff verhinderte, dass Iskal ihn bemerkte, falls er doch noch wach sein sollte. Es war leicht. Beinahe zu leicht. Majid hörte bereits den prallen Beutel mit den Goldstücken an seinem Gürtel klimpern, den er für diesen Auftrag erhalten würde. Lediglich einen Finger als Nachweis seiner Vertragserfüllung musste er seinem Arbeitgeber vorlegen. Vielleicht sollte er dem Mann einen Preisnachlass gewähren. Wobei er die Hälfte seines Lohns der Gilde übergeben musste, die