: Mirjam Müntefering
: Unversehrt
: Ulrike Helmer Verlag
: 9783897419261
: 1
: CHF 15.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach dem Schulabschluss steht den beiden Freundinnen Cornelia und Maya die Welt offen. Was wollen sie studieren? Und wo werden sie leben? Eines ist sicher: Sie wollen den Weg in die Zukunft gemeinsam gehen. Doch dann passiert ein grausames Unglück, und dort, wo eben noch Vorfreude schwang und Möglichkeiten lockten, ist nichts als ein rabenschwarzes Loch. Gefühlvoll und mit Humor erzählt Mirjam Müntefering von Schuld, Vergebung und der Kraft der Liebe.

Mirjam Müntefering ist Filmwissenschaftlerin und Fernsehredakteurin, arbeitete für TV- und Print-Medien. Seit 1998 wurde sie als Autorin von Romanen für Erwachsene und Jugendliche erfolgreich und war als solche in diversen Fernseh-Talkshows zu Gast. Die »CouLe«-Preisträgerin setzt sich seit jeher für die rechtliche Gleichstellung aller Partnerschaften ein und wirbt für mehr Diversität in der Literatur. Die hauptberufliche Autorin fühlt sich in vielen Genres wohl. In ihrer Freizeit widmet sie sich dem Tierschutz und führte viele Jahre lang eine eigene Hundeschule.

 

ZWEITER TEIL

Welchen Sinn hat die Zuweisung von Schuld?

Klärt sie ein eindeutiges Verhältnis von Gut oder Böse?

Gewichtet sie den Zorn derer, die als unschuldig gelten, als gerecht?

Bringt sie zurück, was verloren ist?

Opa streckte die Hand noch einmal in die Tüte mit dem harten Brot. Er nahm einen Kanten heraus und hielt ihn Pronto hin.

»Warte«, sagte ich und hielt seine Hand fest. »Er muss doch erst das andere aufessen.«

»Ach ja«, murmelte Opa und sah zufrieden dabei zu, wie das alte Pony unsere Brotgaben wegmümmelte.

Wir verfütterten auch das letzte Stückchen Brot an den Wallach, und schließlich erwischte Pronto sogar die Brötchentüte und schwenkte sie vor unserer Nase hin und her, als wolle er überprüfen, ob sie auch tatsächlich leer war.

Opa kicherte und sah mich mit leuchtenden Augen an.

Beim Blick in mein Gesicht verschwand sein Grinsen plötzlich wieder. Ich nahm rasch seine Hand und lächelte ihn an.

»Zeit, heimzugehen«, sagte ich.

»Zeit fürs Abendessen. Gibt es Pudding?«, fragte er und schien den ernsten Ausdruck, der gerade noch auf meinem Gesicht gelegen hatte, bereits vergessen zu haben.

Auf dem Heimweg erzählte Opa von seinen Plänen für den Abend. Er wollte Pudding essen, anschließend mit mir gemeinsamWie Finduszu Petterson kam lesen und dann Memory spielen.

Ich lauschte seiner zittrigen, jungenhaften Altmännerstimme und ergänzte das, was er noch vergessen hatte: Seine kleine Stoffmaus Susi musste beim Abendessen neben ihm sitzen, Großmutter musste schimpfen, dass Pudding kein richtiges Essen sei, Opa musste mich beim Memory-Spielen haushoch schlagen.

Das Leben war einfach für ihn.

Deswegen zog ich in den letzten Wochen seine Gesellschaft der eines jeden anderen vor.

Er wusste nichts.

Er war noch nie auf einer Beerdigung gewesen.

Er wusste, dass ich Auto fahren konnte, und fragte trotzdem nicht, warum ich es nicht mehr tat.

In der Zimmerstraße öffnete Großmutter uns die Tür, half Opa aus seiner Jacke und sagte zu mir: »Deckst du bitte schon mal den Tisch?« Ihre Stimme klang dabei nicht mitleidig, sie legte ihr