1. KAPITEL
„Ich habe eine persönliche Einladung bekommen.“
Evelyn Scott schob die handgeschriebene Notiz über den Tisch zu Izzy. Der Salat, den Evelyn mit Zutaten aus dem Gemüsebeet in ihrem Garten zubereitet hatte, war aufgegessen, die hausgemachte Limonade ausgetrunken. Draußen kündigte ein tieforangener Himmel den Einbruch der Dämmerung an.
Hier im Napa Valley schien der Horizont grenzenlos zu sein. Der weite Himmel war eine Leinwand, auf der sich alle möglichen Farben wiederspiegelten, je nach Tageszeit und den Launen des Wetters. Izzy konnte stundenlang in einem Feld auf dem Rücken liegen, nur um die spektakuläre, sich stets verändernde Schönheit der Natur zu bewundern.
„Eine persönliche Einladung?“ Sie ergriff die Notiz und ihr wurde bewusst, dass Evelyn in den letzten anderthalb Stunden, in denen sie über Belanglosigkeiten geplaudert hatten, die ganze Zeit die Tatsache vor ihr verborgen hatte, dass sie krank vor Sorge war.
Izzy las das Schreiben. Es war auf schwerem, cremefarbenem Pergamentpapier verfasst, die Art von Papier, bei der sie gleich an aggressive Banker denken musste, die Kredite einforderten, oder an knallharte Anwälte, die mit Gefängnis drohten. Die Einladung bestätigte diesen ersten Eindruck und war in großer, schnörkelloser Handschrift verfasst. Evelyn wurde zum Tee eingeladen, um von „Angesicht zu Angesicht“ über den Verkauf des Landhauses zu sprechen. Der Brief glich eher einer Vorladung.
„Es ist das erste Mal, dass der Mann mich persönlich anschreibt.“ Evelyn erhob sich und begann, die Teller und Gläser abzuräumen, wobei sie Izzys Angebot, ihr zu helfen, abwinkte. „Du musst dich nicht mit den Problemen einer alten Frau herumschlagen. Deshalb bist du nicht hergekommen.“
„Evelyn, deine Probleme sind auch meine.“ Nach fast einem Monat fühlte es sich immer noch merkwürdig an, die ältere Frau mit „Evelyn“ statt mit Nanny Scott anzusprechen, wie ihre Mutter sie immer genannt hatte. Izzy erinnerte sich noch lebhaft daran, wie sie im Schlafzimmer ihrer Mutter saß, zusah, wie sich Beverley Stowe die Haare kämmte, Lippenstift auftrug, die Lippen aufeinander rieb, um die Farbe gleichmäßig zu verteilen, und ihr Gesicht aus jedem Winkel betrachtete, während sie ihr etwas erzählte. Izzy hörte aufmerksam zu. Sie hielt ihre Mutter für die schönste Frau der Welt und lauschte jeder ihrer Bemerkungen mit jener glühenden Verehrung, zu der nur Kinder fähig sind. Sie kannte tausende Geschichten über Nanny Scott. Izzy hatte sie auf ihrem ersten und letzten Trip nach Kalifornien kennengelernt, als sie neun Jahre alt gewesen war, ein Jahr bevor ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Jene Reise hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt, weil sie nur selten mit ihren Eltern in Urlaub gefahren war. Sie wusste noch, wie begeistert sie darüber gewesen war, jenen heißen Sommermonat mit ihren Eltern verbringen zu können. Es fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen und nicht schon dreizehn Jahre her. Als sie jetzt die Sorge auf Evelyns Gesicht sah, spürte Izzy Wut in sich aufsteigen über die Einschüchterungsversuche dieses Milliardärs, der die Neunundsiebzigjährige um ihr Landhaus bringen wollte, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was danach mit ihr geschah. Er hatte seine Lakaien vorgeschickt, aber die Botschaft war wohl nicht zufriedenstellend übermittelt worden. Also war er gekommen, um zum Angriff überzugehen und das Cottage der alten Frau zu Geld zu machen.
„Nein“, sagte Evelyn entschlossen. Sie stellte einen Teller mit hausgemachtem Pumpkin Pie vor Izzy und setzte sich wieder. „Du hast schon genug um die Ohren, auch ohne diesen ganzen Unsinn. Niemand kann mich zu irgendetwas zwingen.“
„Im Moment ist mein Leben ziemlich ruhig“, antwortete Izzy.
„Dann hast du endlich meinen Rat befolgt und deinen Bruder angerufen, um mit ihm zu reden?“ Interesse blitzte in Evelyns braunen Augen auf. Ihre eigenen Probleme traten für einen Moment in den Hintergrund. „Ich wusste, dass du mir noch etwas zu erzählen hast. Eine alte Frau spürt so etwas.“
Izzy wollte jedoch auf keinen Fall nach Hawaii zurückkehren, solange die Situation hier nicht geklärt war. Sie war zwar nicht dazu verpflichtet, aber sie hatte sich entschieden, Evelyn zu helfen. Von Hawaii war sie ohnehin mit gebrochenem Herzen geflohen und hatte sich an den Ort geflüchtet, an dem ihre Mutter aufgewachsen war. Nach der verkorksten Beziehung mit Jefferson war sie nun von dem tiefen Bedürfnis erfüllt, ihrer Mum irgendwienahe zu sein. Der Wunsch, den Geist ihrer Mutter einfach in ihrer Nähe zuspüren, war albern, kindisch und irrational, aber auch so überwältigend, dass sie ihm schließlich nachgegeben hatte.
Zu Hause hatte sie die Schachtel mit den alten Fotos, d