1. Kapitel. Eine Botschaft
Mitte Mai 1660 ritten im Schloßgarten zu Blois drei Männer, begleitet von zwei Pagen, über die Stadtbrücke, dem alten Schlosse zu. Die Leute, die am Quai spazieren gingen oder herumstanden, kümmerten sich nicht viel um die vornehme Gesellschaft. Kaum daß einer mal den Hut lüftete oder mit den Worten: »Da kommt Monsieur von der Jagd«, den Nachbar darauf aufmerksam machte. Gaston von Orléans führte, als ältester Bruder des verstorbenen Königs, noch immer den Titel Monsieur. Die guten Bürger von Blois hätten sich eigentlich etwas darauf einbilden können, daß Monsieur ihr heiteres Städtchen zu seinem Wohnort erkoren hatte, allein sie fanden an dem etwas schlafmützigen Herrn mit den trüben Augen und der matten Haltung kein Gefallen.
Monsieur ritt einen kleinen Apfelschimmel und saß auf einem Sattel aus flandrischem Sammet. Dazu trug er ein karmoisinrotes Wams, das ihn schön aus seiner Begleitung heraushob. Der Kavalier an seiner Seite, der Oberstallmeister, war violett gekleidet, der Oberjägermeister zu seiner linken grün. Einer der Pagen trug auf einer Stange zwei Falken, der andere ein Jagdhorn, in das er zwanzig Schritte vor dem Schlosse einmal hineinblies. Darauf traten acht Hellebardiere in Reih und Glied, und Monsieur ritt feierlich ins Schloß. Im Hofe stieg er vom Pferde und begab sich in seine Gemächer, wo der Kammerdiener ihm beim Umkleiden half. Dann streckte er sich in den Armstuhl und schlief ein. Die Hellebardiere wußten, daß sie von nun ab keinen Dienst mehr haben würden, und legten sich der Länge nach auf die Bänke, die eben von der Sonne warm beschienen wurden. Wenn nicht ein paar Vögel in den Hecken gezirpt hätten, hätte man glauben können, das ganze Schloß läge im Schlafe, als wäre es elf Uhr abends.
Diese Stille wurde plötzlich von einem lauten Lachen unterbrochen, das aus jener Ecke des Schlosses herüberschallte, in welche eben die Morgensonne hineinschien. Dort sah man einen kleinen, mit Blumen geschmückten Balkon, und auch in dem Zimmer stand auf einem viereckigen Tische eine langhalsige Vase mit einem Strauß Maiblumen. An diesem Tische saßen zwei Mädchen, die man nach ihrer Kleidung für entlaufene Klosterzöglinge hätte halten können. Die eine schrieb einen Brief, die andere sah ihr dabei zu. Die letztere, aus deren Munde das laute Lachen erklungen war, mochte neunzehn Jahre alt sein. Sie war brünett und hatte lebhafte Augen, die unter kühn geschwungenen Brauen unternehmend blitzten. Zwischen frischen roten Lippen glänzten perlenartige Zähne. Ihre Bewegungen hatten etwas Explosives. – Die andere, welche den Brief schrieb, hatte blaue träumerische Augen, klar und rein wie der Himmel an diesem Tage. Sie war blond und trug das Haar in weichen Locken. Ihre Wangen waren rosig. Ihre zarte, weiße Hand und ihre weichen Schultern waren zwar schön geformt, erschienen aber doch ein klein wenig zu mager.
»Montalais!« rief diese Dame in sanftem Tone, »du lachst wie ein Mann. Nicht doch so laut. Die Gardisten hören es ja – und wir selbst können nicht hören, wenn Madame klingelt.«
»Die Gardisten schlafen, Luise,« antwortete die Montalais. »Du könntest eine Kanone abschießen, sie würden jetzt nicht aufwachen. Und wenn Madame schellt, na, du weißt ja, das hört man bis über die Brücke. Du ärgerst dich nur, daß ich gerade jetzt lache, während du schreibst, weil du Angst hast, deine Mutter, die gute Frau von Saint-Rémy, könnte heraufkommen und uns überraschen. Dann würde sie natürlich das Blatt Papier da sehen, auf das du seit einer vollen Viertelstunde noch nichts weiter geschrieben hast als die Worte: ›Werter Herr Rudolf!‹ – Und wenn deine Mutter dich ertappte, so würde sie Zetermordio schreien.«
Darauf lachte sie wieder. Die junge Blondine wurde nun ernstlich böse und zerriß das Papier. – »Ei, ei,« rief die Montalais, »unser Lämmchen wird zornig? Sei doch vernünftig, deine Mutter kommt ja gar nicht. Und warum sollst du nicht einmal an einen alten Freund schreiben?« – »Nun schreibe ich eben nicht an ihn!« antwortete die Blondine. – »Wohl zur Strafe für mich?« rief die Montalais lachend. »Doch horch, da klingelt es. Jenun, Madame muß eben warten oder heute morgen auf die Gesellschaft ihres ersten Ehrenfräuleins verzichten.«
In der Tat hatte es geklingelt – das Zeichen, daß Madame das Frühstück erwarte. Alsbald setzte sich denn auch die Dienerschaft in Bewegung und trug die Speisen ins Schloß, und wo der feierliche Zug vorbeikam, da präsentierten die Hellebardiere, die das Glockenzeichen dem süßen Schlummer entrissen hatte.
»Madame muß ohne mich frühstücken,« sagte die Montalais. »Sie wird mich dafür bestrafen, indem sie mich nicht au