8.
Der alte George
In jenem Teil Nord-Kensingtons, der in der Nähe von Ladbroke Grove liegt, hatte sich ein Fremder durch irgendein Mißgeschick verirrt. Er wanderte durch viele schmucke Straßen und stille Plätze, die den behäbigen Reichtum des oberen Mittelstands förmlich ausstrahlten, durch breite Alleen, wo blankgeputzte Wagen in der kleinen Auffahrt vor den Häusern warteten; und einmal geriet er in herrschaftliche Stallgebäude, wo Kutscher und Pferdeknechte unter lautem Hüh und Hott die Kutschen der reichen Leute von Notting Hill anspannten. Vielleicht hatte er es nicht besonders eilig, seinen Bestimmungsort zu erreichen, dieser Fremde – der übrigens mit unserer Geschichte nichts zu tun hat; jedenfalls verschmähte er die Hilfe eines vorübergehenden Polizisten und setzte seine ziellose Wanderung fort. Er kam nach Kensington Park Road, einer breiten Straße mit großen Gärten und kleineren ummauerten Vorgärten; dann bog er in eine Nebenstraße ein, ging noch etwa zwanzig Schritt weiter und befand sich mitten in einem schmutzigen Armenviertel.
Es war kein gewöhnliches Armenviertel, dieses kleine Stückchen London zwischen Westbourne Grove und Kensington Park Road. Es gibt da keine verfallenen Hütten und stinkigen Gäßchen, sondern straßenlange Häuserreihen mit würdevollen Treppenstufen zu vornehmen Haustüren, mit tiefgelegenen Wirtschaftsräumen, in denen einstmals längst verstorbene Dienstboten dem niederen Mittelstand einer vergangenen Zeit dienten. Die Straßen sind einem Heer schreiender Kinder in verschiedenen Abstufungen von Schmierigkeit überantwortet; die Korridore dieser Häuser haben weder Teppich noch Läufer, und in manchen teilen sich acht oder neun eng zusammengepferchte Familien in die Verantwortlichkeit des Mieters.
Schlumpige Frauen, die Arme in die ausgewaschene Schürze gewickelt, verbringen in diesen Straßen ihr ganzes Leben vor der Haustür; und an den Samstagabenden verdient wenigstens eine der Straßen den derben und unheiligen Namen, den ihr die Polizei gegeben hat: ›die kleine Hölle‹.
In eben dieser Straße gilt als das größte Verbrechen alles, was mit ›spitzeln‹ zusammenhängt. ›Spitzel‹ ist in Cawdor Street ein sehr viel umfassendes Wort; es kann Polizist bedeuten, Detektiv, Schulaufsichtsbeamter, Hausverwalter oder auch den Herrn, der von der Gasgesellschaft dazu angestellt ist, die Groschen aus den Münz-Gasmessern herauszuholen.
Nach Cawdor Street kam ein Mann, der eines der größeren Häuser mietete. Zur großen Überraschung des Vermittlers bot er die Miete in monatlichen Vorauszahlungen an; zur großen Überraschung der Straße nahm er keine Untermieter auf. Es war das einzige alleinstehende Haus in jener gesunden Straße, und zwar Nr. 49. Die Möbel kamen bei Nacht, wie es üblich ist unter Leuten, die ihr letztes bißchen Stolz in anständige Möbel und anständiges Hausgerät s