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Der Bug (Prolog)
»Sammelt so viel wie möglich … Sortieren können sie es nach dem Krieg.«
EMANUEL RINGELBLUM, Historiker
Einmal am Tag warf die Bäuerin beim Schweinefüttern im Stall die Essensabfälle ihrer Familie neben den Trog. Durch eine kleine Öffnung im Boden landeten die Abfälle bei den fünf hungrigen Menschen, die hier untergetaucht waren.
Unter dem Schweinestall würde niemand nach Juden suchen, hatte ihr Mann vermutet. Er behielt recht. Drei überlebten den Krieg, auch wenn sie bei der Befreiung keine Ähnlichkeit mehr mit den Personen hatten, die drei Jahre zuvor an seine Tür geklopft hatten.
Wenige Essensabfälle am Tag – davon kann ein Mensch auf die Dauer kaum leben, und tagelang in der Hocke auszuharren, richtet Körper und Seele zugrunde. Die beiden Untergetauchten, die nicht überlebten, wollten das Versteck im Weiler Godlewo Wielkie eigentlich nur kurz verlassen, um ein paar Habseligkeiten zu holen, die sie in der Nähe ihres eigenen Hauses versteckt hatten. Das hatten sie wahrscheinlich in der Hoffnung getan, sie könnten die Sachen mithilfe des Bauern oder direkt bei ihm gegen zusätzliche Nahrungsmittel tauschen, oder um sich besser vor Ratten, Frost, Regenwasser oder dem Gestank der Schweineexkremente zu schützen. Doch der kurze Ausflug wurde ihnen zum Verhängnis.
Den Bauernhof gibt es noch. Er dient heute im Garten eines später gebauten Hofs als Scheune. Sonne und Regen haben das Holz über die Jahrzehnte mausgrau verfärbt. An den Mauern des etwa fünfzehn Meter entfernten neuen Hofs blättert der Putz ab; darunter treten große, achtlos aufeinandergemauerte Ziegel hervor.
Die Scheune weist in eine ferne Vergangenheit, der Hof in eine Zukunft, die auch schon wieder verstrichen ist. Er sieht aus wie ein Mini-Mehrfamilienwohnhaus, quadratisch mit Flachdach, zwei Stockwerken und zwei identischen Balkonen. Eine Satellitenschüssel rundet das Ganze ab. Die Balkone sind so winzig, dass sie allenfalls genutzt werden können, um den Müll draußen abzustellen.Kostka PRL-owskas, Kommunistenwürfel, nennen die Polen diese Höfe. Es sind Miniaturausgaben der Wohnhäuser, die während der Volksrepublik Polen (PRL) in den Großstädten wie Pilze aus dem Boden schossen, die sogenannten »bloki«.
Vier Jahre habe ich in Warschau, Polens Hauptstadt, gelebt, einer Stadt voller solcher Wohnhäuser. Von dort fuhr ich auf der Suche nach Personen und Orten in einem erschüttern