1. KAPITEL
Maggie Taggart sah sich in der riesigen, chromglänzenden Küche um.
Sie fühlte sich rastlos.
Gerade hatte sie ihr Geschirr vom Abendessen abgewaschen und weggeräumt, und die Küche im Kellergeschoss des majestätischen Herrenhauses war wieder in tadellosem Zustand.
Das Anwesen befand sich eine gute Stunde Autofahrt von Dublin entfernt und lag eingebettet in die herrliche, saftig grüne Landschaft Irlands. Das vier Hektar große Grundstück war wie ein Park angelegt und äußerst gepflegt. Es gab sogar einen kleinen See und ein verwunschenes Wäldchen.
Auf der Rückseite des Herrenhauses erstreckten sich weitläufige Rasenflächen, und neben dem Haus befand sich ein großer, von einer Mauer umgebener Küchengarten. Dahinter lagen großzügige Stallungen, die jedoch leer standen. Der neue Besitzer des Hauses, ein milliardenschwerer Geschäftsmann, hatte das Haus gekauft, ohne es sich vorher überhaupt anzusehen. Vermutlich nur aus einer Laune heraus, weil er sich kurzzeitig für Rennpferde interessierte, denn dieser Teil Irlands war berühmt für seine hervorragende Pferdezucht.
Doch seit dem Kauf gab es weder Pferde, noch war der Eigentümer je hier gewesen. Alles war nach seinen Wünschen und Vorgaben renoviert und eingerichtet worden, und alles war bis ins kleinste Detail perfekt, aber das Haus stand leer.
Selbst die Haushälterin, Maggies Mutter, war von einer seiner Assistentinnen eingestellt worden.
Als sie plötzlich krank geworden war, hatte sie aus Angst, ihre neue Anstellung zu verlieren, ihre Tochter gebeten, ihr zu helfen. Maggie hatte sofort zugesagt und ihren Job als Köchin in einem Restaurant in Dublin gekündigt, um ihrer Mutter zur Seite zu stehen. Ihr Chef war ein übler Zeitgenosse gewesen, also war ihr diese Entscheidung nicht sehr schwergefallen.
Nach dem völlig unerwarteten Tod ihrer Mutter hatte Maggie den Hauseigentümer informiert, und eine distanziert wirkende Mitarbeiterin hatte gefragt, ob sie übergangsweise die Stelle übernehmen würde. Nur bis man einen Ersatz gefunden hätte, so hieß es.
Die Vorstellung, noch ein wenig länger in dem herrlichen, einsamen Anwesen zu bleiben und ganz in Ruhe um ihre Mutter zu trauern, war Maggie sehr verlockend erschienen. Also hatte sie zugesagt.
Das war jetzt über drei Monate her.
Drei Monate, die ihr rückblickend wie in einem Nebel erschienen – voller Trauer und Verzweiflung.
Doch langsam legte sich der erste Schmerz, und Maggie spürte immer häufiger eine innere Unruhe, so wie heute. Das Haus hatte sie wie ein riesiger luxuriöser Kokon von der Außenwelt abgeschirmt und ihr Sicherheit gegeben. Doch die anfängliche Verzweiflung war verflogen, und mittlerweile füllte sie die Aufgabe, das leere Anwesen in Ordnung zu halten, nicht mehr aus.
Maggie fragte sich, ob der Besitzer seinem neuen Anwesen überhaupt jemals einen Besuch abstatten würde. Sie presste bei diesem Gedanken fest die Lippen zusammen. Sie hatte sich bisher nicht die Mühe gemacht, im Internet über den Eigentümer zu recherchieren, aber sie hatte trotzdem eine ziemlich genaue Vorstellung von ihm.
Jemand, der ein gigantisches Landhaus im Grünen kaufte und dann nicht einmal dorthin fuhr, um es sich anzusehen, konnte nur ein Snob sein.
So etwas taten nur Männer, die mehr Geld als Verstand hatten. Das waren zumindest die Worte ihrer Mutter gewesen – und die musste es schließlich wissen.
Maggies Vater war auch so ein reicher Kerl gewesen. Ein Immobilien-Mogul aus Schottland, der mit Maggies Mutter eine Affäre gehabt hatte. Als sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte, da hatte er alle Verantwortung von sich gewiesen. Vor lauter Angst, dass Maggies Mutter und sein uneheliches Kind am Ende etwas von seinem Vermögen abbekommen könnten, hatte er weder Unterstützung angeboten noch zu der Vaterschaft gestanden. Stattdessen hatte er wüste Drohungen ausgesprochen und versucht, seine ehemalige Geliebte einzuschüchtern.
Maggies Mutter war eine stolze Frau gewesen, deshalb hatte sie nicht um Unterhalt gekämpft. Außerdem war sie viel zu verletzt gewesen. Sie hatte mit ihrem ungeborenen Kind Schottland verlassen und war nach Irland gegangen. Dort hatte sie als Haushälterin gearbeitet und so im Laufe der Jahre immer wieder den Wohnort gewechselt.
Aus diesem Grund war Maggie gar nicht gut auf reiche Männer zu sprechen.
Sie seufzte gedankenverloren.
Trotz allem wurde sie ziemlich gut bezahlt, um sich um das leere Haus eines wohlhabenden Mannes zu kümmern, also konnte sie sich eigentlich nicht beschweren.
In diesem Moment wurde die Stille, die Maggie seit vielen Wochen so genossen hatte, von einem Geräusch durchbrochen.
Ein Klopfen.
An der Haustür?
Es kam so selten