: Peter Meier-Hüsing
: Nazis in Tibet Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer
: wbg Paperback in der Verlag Herder GmbH
: 9783534747269
: 1
: CHF 7.00
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: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Himalaya-Expedition unter dem Hakenkreuz 21. Dezember 1938: Fünf junge Männer aus Deutschland überschreiten den Himalaya-Pass Nathu-La zwischen Sikkim und Tibet. Als erste Deutsche haben sie die Genehmigung erhalten, die 'verbotene Stadt' Lhasa zu besuchen. An ihrem Gepäck flatterten Hakenkreuzwimpel und SS-Runen. Offiziell wird der Leiter der Expedition Ernst Schäfer später beteuern, es wäre nur um zoologische Forschungen gegangen. Tatsächlich steht die Reise unter der besonderen Förderung von Heinrich Himmler, der in Tibet den Ursprung der arischen Rasse vermutet. Peter Meier-Hüsing geht den Mythen und Legenden, die sich bis heute um die Tibet-Expedition der fünf SS-Offiziere Ernst Schäfer, Bruno Beger, Karl Wienert, Ernst Krause und Edmund Geer ranken, auf den Grund.  - Opportunist, Tibetforscher, überzeugter Nazi? Wer war Ernst Schäfer? - Die Welteislehre und der Ur-Arier: Himmlers Okkultismus - SS-Organisation Ahnenerbe: Ideologie statt Wissenschaft - Tausende Artefakte und ausgestopfte Tiere: Was von der Tibet-Reise blieb   Esoterik, wissenschaftliche Forschung oder politischer Auftrag? Erforschung bisher unbekannter Tier- und Pflanzenwelt, Hinweise auf eine arische Ur-Religion in tibetischen Schriften, winterhartes Getreide, um in Kriegszeiten die Grundversorgung sicherzustellen: Während die Teilnehmer nach Kriegsende in den Nürnberger Prozessen ihre rein naturwissenschaftliche Motivation betonten, geht der Autor ihren tatsächlichen Beweggründen auf den Grund. Spannend und kenntnisreich beleuchtet er dabei nicht nur die Grundlagen der nationalsozialistischen Ideologie und Himmlers esoterische Obsessionen. Er analysiert auch den Nachhall, den die skurrile Expedition bis heute in rechtsextremen Kreisen findet!

Peter Meier-Hüsing, geb. 1958, Religionswissenschaftler, freier Journalist und Buchautor, arbeitet für den Hörfunk von Radio Bremen und verantwortet dort eine Chronik-Reihe. Seine große Leidenschaft neben dem Schreiben ist das Bergsteigen, deshalb neben regionalhistorischen Publikationen auch alpinhistorische Veröffentlichungen. Ein großes Interesse für Tibet und seine Geschichte führte zur intensiven Beschäftigung mit dem Thema der Expedition von Ernst Schäfer 1938/39 und ihrer Hintergründe.

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Jugendjahre


Das Leben als Jagd


Nach eigenem Bekunden legte Ernst Schäfer bereits in jüngsten Jahren sein Spielzeuggewehr auf flüchtende Ratten im elterlichen Kartoffelkeller an, stapelte bald in seinem Zimmer Terrarien und Aquarien und begann mit Vererbungsexperimenten an Hausmäusen, denen er die Schwänze kupierte, um zu schauen, ob diese Manipulation sich in den folgenden Generationen wieder zeigen würde. Schäfers Natur- und Tierliebe war von Beginn an mehr als ein betrachtendes Forschen, es war vor allem ein Jagen.

Ernst Schäfer, geboren am 14. März 1910, wuchs im thüringischen Waltershausen auf. Sein Vater Albert besaß dort eine leitende Stellung bei den „Gummiwerken Titan B. Pollack“, und der gelernte Kaufmann erhoffte sich auch von seinem zweitgeborenen Sohn (von vieren mit Margarethe, geb. Imdahl) ein Studium der Handelswissenschaften. Doch Ernst Schäfer träumte allenfalls von einer Laufbahn als Nordpolfahrer und durchstreifte lieber mit Freunden den nahe gelegenen Thüringer Wald.

Die vernachlässigte Schullaufbahn versuchten die Eltern nun mit einer Versetzung in das Pädagogium Heidelberg zu korrigieren. Allerdings wurde Ernst Schäfers größte Leidenschaft dort im Internat eher befördert als unterdrückt: Der Schuldirektor wählte sich den 15-Jährigen als Gehilfen zur Bocksjagd im Odenwald aus und prüfte ihn mit Nacht-Wachen, bis er schließlich selbst die Büchse führen durfte. Und Schäfer war ein wissbegieriger Adept des Waidhandwerks. Die Jagdleidenschaft, ja Besessenheit, blieb eine bestimmende Konstante in seinem Leben. Noch bei seinem einzigen Fernsehauftritt im Nachkriegsdeutschland, in einer frühen Terra-X-Sendung des ZDF von 1988, sitzt der „Tibet-Experte“ im waidmannsgrünen Outfit vor einer trophäengeschmückten Wohnzimmerwand. Da war der langjährige Autor für Fachblätter wieWild und Hund oderDie Pirsch 79 Jahre alt.

Es muss ungefähr zur Zeit seines Eintritts in die Heidelberger Privatschule Mitte der 1920er-Jahre gewesen sein, als es am heimischen Esstisch zu einer prägenden Begegnung für Ernst Schäfer kam. Ein Geschäftsfreund seines Vaters, ein Direktor des I.G. Farbenwerkes nahe Merseburg, kam zu Besuch – die I.G. Farben forschte zu jener Zeit intensiv an Ersatzstoffen für Naturkautschuk, bald als „Buna“ bekannt. Man plauderte dabei auch über die neueste Tibet-Expedition des im Deutschen Reich seit seiner Antarktisfahrt 1911/12 äußerst populären Geophysikers und Forschungsreisenden Wilhelm Filchner, dessen Unternehmungen die I.G. Farben finanziell unterstützte. Der 48-jährige Filchner befand sich mitten in den Vorbereitungen zu seiner zweiten Expedition nach Tibet. Der junge Schäfer lauschte gebannt, denn auch für ihn stand „Tibet“ für Geheimnis und Abenteuer. Filchner plante, über weite Strecken bislang unbekanntes Terrain im tibetischen Hochland zu kartographieren und mit erdmagnetischen Messungen zu erfassen. Er wollte „das europäisch-westasiatische Netz erdmagnetischer Stationen an das chinesische und dies wiederum an das indische anschließen“.15 Dies bedeutete, riesige, fast unbewohnte Areale zu bereisen und mehrere Tausend Kilometer auf Yaks, Kamelen und Pferderücken zurückzulegen, in politisch teilweise äußerst unsicheren Regionen. Das Unternehmen gelang, allerdings unter großen Mühen, dauerte über drei Jahre, und zwischenzeitlich wurde Filchner bereits totgesagt.

Die Geschichten von Forschungsfahrten in entlegene Weltregionen samt bestandenen Abenteuern, erlittenen Entbehrungen, geheimnisvoller Exotik und schlussendlich errungenem Forscherruhm – dieses Gemisch reizte schon viele pubertäre Phantasien zu großen Geistesflügen. Ernst Schäfer war da keine Ausnahme. Doch sollte er schon wenige Jahre später seine Träume verwirklichen können – wenn auch zu einem hohen Preis.

Eine unverhoffte Gelegenheit


Nach bestandenem Abitur schrieb sich Schäfer 1929 an der Universität Göttingen ein und studierte vornehmlich Zoologie und Botanik, daneben auch Geographie und Geologie. Einer seiner Professoren war der Ornithologe Hugo Weigold, ein Pionier des Naturschutzes, Gründer der Vogelwarte Helgoland und seit 1924 Direktor der Naturkundeabteilung des Provinzialmuseums Hannover. Dort jobbte Ernst Schäfer während der Semesterferien. Und – das war das Entscheidende – erfuhr von Weigold, dass der bereits als junger Mann das tibetisch-chinesische Grenzgebiet bereist hatte, als Mitglied der Expedition von Walther Stötzner. Dieser war eigentlich Architekt, hatte sich aber als Autodidakt der Geographie und Völkerkunde verschrieben und wurde mit mehreren Fo