»Jeder Messias,
der in der Gegenwart kommt,
ist ein falscher Messias«1
2014 erschien mitDie Jakobsbücher Olga Tokarczuks bisher ehrgeizigstes Werk.2 Sechs Jahre schrieb sie an einem Roman von fast 900 Seiten, den das Nobelpreiskomitee als ihr »magnum opus« pries – und ihr dafür 2018 den Literaturnobelpreis verlieh.
Die Jakobsbücher beschreibt die fantastisch anmutende Reise des Kaufmanns Jakob Joseph Frank (1726–1791), der behauptete, eine Reinkarnation des Kabbalisten Sabbatai Zwi aus dem 17. Jahrhundert zu sein. Die etwa fünf Jahrzehnte, die sich zwischen den Buchdeckeln dieses umfangreichen Romans abspielen, bilden den Rahmen für den Aufstieg und Fall von Jakob Joseph Frank und seiner Gefolgschaft von »wahren Gläubigen«.
Von ekstatischen Visionen heimgesucht, bekennt er sich abwechselnd zum Islam, zum Judentum und zum Christentum, mal von seinen Gegnern als Ketzer denunziert, mal von seinen Anhängern als Messias verehrt. Die konventionellen Vorstellungen von Gut und Böse stellt er auf den Kopf, wenn er der immer eifriger werdenden Schar seiner Jünger befiehlt, die Welt mit Sünde zu überschwemmen, um so das Ende der Zeit zu beschleunigen.
Seine in Verruf geratene Religion ist wahrhaftig eine »Endzeitreligion, die alle drei Religionen […] in sich vereint«. Charismatisch und mit mehr als einer Prise Psychopathie bietet Frank eine unendlich faszinierende Charakterstudie, und es ist leicht zu erkennen, warum er eine so großzügige romanhafte Behandlung verdient hat. »Er ist ein Betrüger«, sagte Tokarczuk über ihn, »ein Charmeur und ein Betrüger.«3
Es ist schon erstaunlich: Die Erwartung eines Messias zur Errettung Israels aus dem Unheil dieser Welt kann ein so erfolgreiches Romanthema sein, dass es mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wird. Bekräftigt wird: Die Aufgabe des Messias besteht im Judentum darin, das Volk Israel aus seinem Leid und der Bedrängnis zu erlösen. Das heißt, dass alle Verfolgung, Entwürdigung und Verachtung aufhören und das Volk Israel zu seinem Recht in dieser Welt finden wird. Mit Erlösung ist nicht die von Sünde und Schuld gemeint. Denn das Judentum kennt – anders als das Christentum – keine Vorstellung von einer Erbsünde. Vielmehr geht es um eine Art nationale Befreiung,schalom als allumfassendes Heil für alle Völker und um die völlige Durchsetzung der Gottesherrschaft.
Man erwartet die Erlösung immer dann, wenn das jüdische Volk in großer Bedrängnis lebt; die Größe des Leids entspricht der Größe des Retters und Erlösers, also des Messias. Man bezeichnet derartige Zeiten auch als die der »messianischen Wehen«. Sie kennzeichnen eine Zeit der Sittenlosigkeit, der Not und Armut. Legendäre Nationen, so die endzeitliche Vorstellung, ziehen unter den Königen Gog und Magog gegen Jerusalem zu Felde und werden besiegt. In diesem Kampf wird, so heißt es, dermaschiach ha’milchama, der Kriegsmessias, ein Sohn aus dem Hause Josefs, getötet. Elija, der Vorläufer des wahren Messias aus dem Hause Davids, erschlägt daraufhin Samael, den Satan. Erst dann sollen die Tage des Messias anbrechen, die gekennzeichnet sind von der Rückführung des jüdischen Volkes aus der Diaspora, der Wiederherstellung Jerusalems und seines Tempels sowie der Wiederherstellung des Thrones Davids, also der jüdischen Souveränität.
Messias-Prätendenten: historische Beispiele
Die Erwartung, dass diese Geburtswehen des Messias anbrechen würden, stieg in Zeiten nationalen Unglücks, etwa nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 u. Z. Damals lag die Hoffnung auf dem Freiheitskämpfer Simon Bar Kochba, den »Ste