1.
FENERIKS Atem
»Willst du sterben?«, fragte Apehei das Kind.
Es mochte vier oder fünf Zyklen alt sein, zu jung jedenfalls, um FENERIKS Atem selbst zu bewältigen. Apehei wusste nicht einmal, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte. Seine Kopffedern wiesen noch den kindstypischen Weißton auf, in dem sich das Blau der Ausgewachsenen bestenfalls als zarter Schimmer zeigte. Erst wenn sein Körper die Hormonproduktion startete, würden die Federn nachdunkeln und der Genetische Schild aktiviert werden. In etwa 20 Zyklen. Wenn das Kind Glück hatte, vielleicht sogar schon in 15. Falls es so lange lebte.
Apehei bemerkte die vergrößerten Pupillen und den gelblichen Tränenfilm in den dunkelblauen Augen des Kindes. Es hatte Angst, zumindest ein bisschen. Das war gut. Ein erster wichtiger Schritt. Aber er reichte nicht aus.
»Willst du sterben?«, fragte sie erneut, lauter diesmal.
Das Kind zuckte zusammen und senkte eingeschüchtert den Blick.
Apehei schaute zu den Eltern. Sie standen etwas abseits in der kleinen Wohnung neben einem Wandbord, auf dem eine zischende, dampfende Aromaglobe einen schwefeligen Hauch verbreitete. Sie hielten sich an den Händen, starrten sie an – und schwiegen. Genau wie es ihnen Apehei vor wenigen Minuten eingetrichtert hatte.
Sie fragte sich, warum sie den Auftrag überhaupt angenommen hatte. Ondrell und Myriala gehörten nicht gerade zu den privilegiertesten Kejis. Sie lebten weit außerhalb der Zentralstadt in einem Wohnzirkel, hielten sich mit dem Anbau dürrer Lamicsträucher mehr schlecht als recht über Wasser und konnten Apeheis Dienste keinesfalls ausreichend bezahlen.
Warum also war sie gekommen?
Die Antwort war so schlicht wie bitter: weil sich sonst niemand um das Kind kümmerte. Nicht die Genetische Behörde, nicht die Zentralstadtförderung, leider nicht seine Eltern und schon gar nicht FENERIK – und das, obwohl der Chaoporter in gewisser Weise für die Hilfsbedürftigkeit des Kindes verantwortlich war.
Dennoch: Vielleicht hätte sie den Auftrag ablehnen sollen. Jede andere Absorbiererin hätte es getan oder es gar nicht erst so weit kommen lassen. Sie hätte die Verbindungsanfrage bereits in dem Moment abgewiesen, in dem der Kontakter anzeigte, dass der Anrufer und potenzielle Auftraggeber in den Außenbezirken lebte.
Apehei hingegen – die dumme, gutmütige Apehei mit dem viel zu weichen Herzen – akzeptierte die Anfrage nicht nur. Nein, sie stieg nach dem kurzen Gespräch auch sofort in ihren Schweber und raste los. In eine Gegend, in die sie unter anderen Umständen keine Zehenspitze gesetzt hätte. Hin zu den Ausgestoßenen, den Unerwünschten und Vergessenen, den genetisch Missglückten, deren einziger positiver Beitrag zur Gesellschaft darin bestand, dass sie sich früher oder später gegenseitig umbrachten.
Zumindest war das die offiziell vorgeschriebene Sichtweise der Zentralstadtförderung. Apehei hatte schon oft genug Aufträge in den Außenbezirken angenommen, um zu wissen, dass die Wahrheit darüber hinausging. Gewiss, dort draußen herrschten Mord und Totschlag, doch die Unerwünschten lebten nicht an diesem Ort, weil sie kriminell waren – sie waren kriminell, weil sie dort lebten. Weil ihnen keine andere Wahl blieb.
Illustration: Dirk Schulz
Einmal testete die Genetische Behörde eine neue, vielversprechende Genkombination, die unerwarteterweise zu porösen Falthäuten, Schwachsinn oder kaum belastbarem Knochenbau führte. Ein anderes Mal v