»Man erwartet von Politikern, dass sie wenigstens oberflächliche Kenntnisse von Geschichte und Wirtschaft haben. Es wird höchste Zeit, dass man sie auch veranlasst, sich zumindest mit den Grundkenntnissen der Psychologie vertraut zu machen und die seltsamen geistigen Kräfte zu studieren, die die Menschen veranlassen, mit solcher Verbissenheit gegen ihr eigenes Wohl zu handeln.«
ARTHUR KOESTLER
Die Regierungskrise vom Hochsommer 2018 veranschaulicht das Thema dieses Buches auf besondere Weise. Wie in jeder Krise verdichteten sich auch hier alle verschleppten und geleugneten Probleme, bis sie eine solche Klarheit entwickelt hatten, dass man gezwungen wurde, sie anzusehen. Gleichsam als Vorwegnahme und Kaleidoskop für die kommenden 400 Seiten beginne ich mein Buch deshalb mit einer kurzen Chronologie der Ereignisse der letzten beiden Juniwochen 2018, bevor ich zur Causa von 2015 zurückkomme.
Rund um das beinahe Ende der Kanzlerschaft Merkels, einer Ikone der Wiedergutmacher, läuft im Sommer 2018 ein ganz bestimmter Babyboomer-Typus noch einmal zur Hochform auf. In der Zeit des »Ultimatums der CSU« offenbaren die etablierten Strukturen in Medien, Parteien und Kulturwelt, wer in Deutschland die Deutungshoheit zur Wahrheit besitzt. Als Angela Merkel im Streit mit ihrem Innenminister Horst Seehofer nach 13 Jahren Kanzlerschaft ernsthaft ins Wanken geriet, führen ihre Anhänger einen bemerkenswerten Verteidigungskampf. Hierbei tritt die Einseitigkeit der Leitprinzipien der Wiedergutmacher mit großer Klarheit hervor: Moral vor Recht, Legende vor Wahrheit, Feminismus vor Maskulinität, Konformität vor Charakter, Gesinnung vor Verantwortung, Bekenntnis vor Handlung, Selbstverleugnung vor Selbstbehauptung, Gefühl vor Ratio, Feigheit vor Mut. Spätestens in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2018, als ein völlig derangierter Innenminister Horst Seehofer vor die Presse tritt und seinen Rücktritt kolportiert, ist klar – die Zeit der »alten, weißen Männer« ist vorbei. Und mit ihnen endet auch das Zeitalter der altenweisen Männer. Die Konterfeis der politischen Charakterköpfe meiner Jugend hängen im Museum des Deutschen Doms am Gendarmenmarkt: Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker, Willy Brandt, Herbert Wehner, Hans-Dietrich Genscher. Längst wurde der Staffelstab übernommen von den verletzten Söhnen und Töchtern der Republik. Kriegsenkelinnen und Kriegsenkel wie Claudia Roth, Andrea Nahles, Annalena Baerbock, Katja Kipping, Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter, Robert Habeck, Heiko Maas und Peter Altmaier bestimmen die Geschicke Deutschlands. Politik und Medien sind heute fest in den Händen der sogenannten »Nebelkinder«5, deren einzige Gewissheit ein nebulöses und doch stetig präsentes Gefühl ist:Schuld. Seit ihrer Kindheit bewegt Nebelkinder eine einzige Frage:Wie mache ich alles, alles wieder gut?
Es war der viellei