: Timm Kruse
: Barfuß auf dem Rhein 1200 Kilometer mit dem SUP von den Alpen bis zur Nordsee
: Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
: 9783846409039
: Reiseerzählungen
: 1
: CHF 12.60
:
: Europa
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Manchmal stehe ich auf meinem Brett, treibe den Rhein runter und denke: Hier bin ich zu Hause ...' 1200 Kilometer von der Quelle in den Alpen bis zur Mündung bei Rotterdam: Einen Monat lang paddelt Timm Kruse barfuß den Rhein hinunter. Aus Abenteuerlust, aber vor allem aus Neugier: auf Begegnungen auf und an dem Strom, auf das, was ihn und seine Landsleute ausmacht, und was davon bei unseren europäischen Nachbarn ankommt. Eine Reise voller Abenteuer durch fünf Länder und das Zentrum Europas, durch reißende Stromschnellen, auf den Spuren der legendären Rheinromantik, zu thailändischen Marktfrauen an den Rheinschleusen bei Straßburg, zu unerbittlichen Campingwarten und herrlich schrulligen Binnenschiffern. 'Ein lebenskluger, sehr aufmerksamer Beobachter, pointiert und witzig.' DAS MAGAZIN über Timm Kruse

Hochrhein


»Vorsicht ist das, was wir bei anderen Feigheit nennen.«

Oscar Wilde

KUHHORN/TÄGERWILEN – WAGENHAUSEN


Es war schon lange klar, dass ich eines Tages den Rhein mit dem SUP befahren würde. Die Idee kam mir – wie so viele Ideen – unterwegs: Ich paddelte für ein paar Tage mit Freunden auf dem Hudson; der Fluss war dreckig, der Gegenwind ließ uns nicht von der Stelle kommen, immer wieder durchnässte uns der Regen, und ich wünschte mich nach Hause. Nach Deutschland. Dieses Gefühl nennt man wohl Heimweh. Ich hätte heulen können und ein Buch schreiben mit dem Titel: »Was mache ich hier?« Ich wollte nicht mehr in diesem verfluchten Amerika sein, wo die Menschen nur so tun, als ob sie nett seien. Wo die Natur gewaltiger und feindlicher ist als zu Hause – selbst die Regentropfen sind größer. Wo das Lebensgefühl auf einem großen Traum basiert, in dem alles möglich ist, und wo in Wahrheit mehr Menschen im Elend leben als in allen Industriestaaten zusammen, wo täglich Dutzende erschossen werden und die Bildung katastrophal ist.

Vor mir paddelte Justin, ein alter Freund aus England – klein, muskulös und mit unglaublichem Durchhaltevermögen. Ein Kraftwürfel. Er bahnte uns den Weg, pflügte durchs Wasser wie ein Landwirt über Äcker bei nahendem Gewitter. Justin fühlt sich am wohlsten, wenn er kämpfen muss. Wenn sein Körper an seine Grenzen geführt wird. Vielleicht wohler als an Land, wo er sich unterhalten muss. Neben mir paddelte John, ein amerikanischer Freund, der sich durch seine Gelassenheit auszeichnet. Er stach sein Paddel stumpf in den Hudson, machte einen Schlag nach dem anderen und schien nur körperlich anwesend zu sein. Sein Geist war vermutlich an einem anderen Ort, wo es weniger unwirtlich war. Hatte er überhaupt die Augen geöffnet, oder blinzelte er in den Regen? Es schüttete so stark, dass uns das Wasser durch das Ölzeug in die Unterhosen floss.

In herrlicher Flusslandschaft bei Wagenhausen versteckt sich ein kleiner Zeltplatz.

Irgendwann tauchte eine Werft auf, und wir beschlossen, dort Unterschlupf zu suchen, bis das Schlimmste ausgestanden war. New York war noch drei Tage entfernt – bei dem Wetter weiter weg als der Mond.

Die Werft bestand aus einer gewaltigen Schwimmhalle, in der ein paar Boote lagen. Als wir uns auf unseren Brettern dem Ende der Halle näherten, kam ein Mann auf uns zu und fragte nicht unhöflich, was genau unser Plan wäre. John erklärte ihm unsere Lage, und der Typ bot uns Kaffee an. Wir plauderten ein wenig über das miese Wetter und den verfluchten Hudson, der seit dem Wehr in Troy einen gigantischen Tidenhub aufwies und im Moment nur frühmorgens oder abends zu paddeln war. Tagsüber