ERÖFFNUNG: CAMPO DE’ FIORI
Als Berto Vanga erwachte, herrschte noch Finsternis. Sein erster Gedanke war: Dies ist der Tag, den ich gefürchtet habe.
Pazzia! Was für ein Unsinn …
Er hatte keine Angst vor dem Anblick des Todes. Es war etwas anderes. Etwas, das er nicht benennen konnte. Oder nicht wollte.
Vanga trank einen Schluck Wasser aus dem Tonkrug, kleidete sich hastig an und stieg die Treppe hinunter. Durch die Seitentür seiner Herberge trat er ins Freie. Die Morgenröte färbte allmählich den Dunst, der die Stadt einhüllte. Es war kalt in den Gassen. Vom Fluss herauf kam ein leichter Wind, der den Duft von Gras und Erde mit sich trug. Ein Hauch von Frühling, aber auch der Geruch von Fäulnis.
Um diese Zeit war sonst noch Stille in Rom. Nur die wenigen Leute, deren Gewerbe ein frühes Aufstehen erforderte, waren bereits unterwegs. Bauern strömten durch die Tore in die Stadt, zum Beispiel über die ruhmreiche Via Appia. Hier jedoch, zwischen dem alten Ghetto und dem Ponte delle quattro Capi, hörte man kaum etwas vom Ächzen der hölzernen Lastkarren. Auf den Märkten begann gerade erst das Geschäft, und die zahlreichen Pilger, die wegen desanno santo, des Heiligen Jahres, schon am Beginn der Fastenzeit die Ewige Stadt bevölkerten, lagen gewiss noch in tiefem Schlaf.
An diesem Morgen jedoch war alles anders. Da zogen bereits im Halbdunkel Scharen von Menschen die Gassen entlang. Das Geräusch ihrer Schritte. Schattenhafte Umrisse. Sie bewegten sich alle in dieselbe Richtung und sprachen wenig. Aber es war eine befremdliche Unruhe zu spüren.
Vanga verharrte kurz auf den niedrigen Stufen. Niemand beachtete ihn. Ein unauffälliger Mann von mittlerer Größe, von einem abgetragenen Mantel nur unzureichend geschützt. Die seit langem gebrochene Nase schnupperte noch einmal in den Wind. Dann trat er in die Menge, so wie man sich in einen langsam vorüberziehenden Fluss gleiten lässt und mit der Strömung davontreibt.
Immer mehr dieser menschlichen Schemen umgaben ihn. Sie kamen aus Torwegen und Durchgängen. Hier tappte eine Frau mit einem Kind an der Hand, dort schlurfte ein Greis mit gebeugtem Rücken. Vor ihm schritt ein Mönch mit einer Kapuze, der leise den Rosenkranz betete, dort ein Maurer mit Kelle am Gürtel, da eine dralle Dienstmagd. Der dürre Schneider aus dem Nachbarhaus mit seiner ewig keifenden Frau. Heute Morgen war sie still. Ein paar Nonnen rafften ihre Gewänder, um die Säume nicht dem Schlamm der Gosse auszusetzen. Plötzlich schien es jeder eilig zu haben. In allen Gesichtern ein Ausdruck geheimer Erregung, eine unverhohlene Gier, die etwas von Erwartung, ja Lüsternheit an sich hatte. Vanga verlangsamte den Schritt und zog den Mantel fester um die Schultern. Zwei oder drei Leute rempelten ihn an, und einer murmelte einen Fluch. Weil er sich dem Tempo der anderen nicht