1. KAPITEL
„Ich habe gehört, dass du heute Abend zum Speed-Dating verabredet bist?“
Als ihr diese beiläufige Frage gestellt wurde, bereitete Lucy sich gerade darauf vor, in den Konferenzraum zu gehen und die möglicherweise wichtigste Präsentation ihrer Karriere zu machen.
„Woher in aller Welt weißt du das?“, fragte sie leise und hoffte, dass ihre Wangen nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten.
„Mel aus der Buchhaltung hat es mir erzählt.“ Carolyn schien nichts von der Verlegenheit ihrer Kollegin zu bemerken.
Es war nicht das erste Mal, dass Lucy den Eindruck hatte, unter Beobachtung zu stehen. „Na ja, es ist einfach nur zum Spaß.“ Rasch warf sie einen Blick durch die Abteilung, ob jemand die Ohren gespitzt hatte. Gott sei Dank war Freitag, und alle arbeiteten konzentriert, um pünktlich aus dem Büro zu kommen und ins Wochenende zu starten.
„Es ist auch an der Zeit, dass du anfängst, wieder ein bisschen Spaß zu haben“, fuhr Carolyn unbekümmert fort. „In den letzten Wochen hast du viel zu viel gearbeitet.“
„Na ja, ich glaube, das haben wir alle getan. Die Übernahme durch EC Cruises lässt uns schließlich alle um unsere Jobs bangen.“
„Da hast du recht. Seit der Bekanntgabe vor einem Monat habe ich kaum geschlafen, und dabei sitze ich nicht mal im Management.“
„Wir werden uns sicher nächste Woche alle besser fühlen, wenn der neue Besitzer kommt, um mit uns zu reden. Bis dahin müssen wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren.“
Als Lucy von ihren Papieren aufschaute, sah sie, dass der Geschäftsführer und einige Mitglieder des Vorstands bereits auf dem Weg zum Konferenzraum durch den Korridor gingen. Carolyn hatte recht: Sie hatte unermüdlich gearbeitet. In der heutigen Präsentation steckte die Arbeit von Monaten. Sie konnte nur hoffen, dass es keine vergebliche Mühe war, jetzt, wo ihr Unternehmen von einem ausländischen Konzern geschluckt worden war.
„Ich wünschte, ich könnte bestimmte Dinge so ausblenden, wie du es tust, Lucy. Du bleibst in jeder Krise immer so ruhig und kompetent.“
„Meinst du?“ Lucy schüttelte den Kopf. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich alles andere als ruhig und kompetent vorgekommen war.
„Absolut. Immer wenn ich diese Ratte von Exmann von dir sehe, frage ich mich, wie du es fertigbringst, ihm jeden Tag im Büro zu begegnen.“
„Ich habe mich damit abgefunden.“
„Du warst immer viel zu gut für ihn“, bemerkte Carolyn nüchtern.
„Vielen Dank, Caro.“ Lucy lächelte ihre Freundin an und verschloss dabei ihre Aktenmappe. Würde sie je dem Dunstkreis ihres Exmannes entgehen? fragte sie sich.
Während sie erneut aufschaute, sah sie durch die Glastrennwand das Objekt ihrer Gedanken durch den Korridor eilen. Kris war sechs Jahre älter als sie, also fünfunddreißig, und immer noch ein gut aussehender Mann, wenn man blaue Augen und blondes Haar mochte. Lucy hatte von diesem Typ jedoch genug …, genau genommen hatte sie von allen Männern genug.
Nur weil ihre Freundin Mel einfach kein Nein akzeptierte, hatte sie sich auf diese Speed-Dating-Geschichte heute Abend eingelassen.
Während Lucy ihren Exmann beobachtete, entdeckte sie, dass er nicht allein war. Ein anderer Mann war den Gang hinuntergekommen, um sich zu ihm zu gesellen. Er war größer als Kris und breiter. Kris’ Statur hatte Lucy immer gefallen, doch neben diesem Mann wirkte er regelrecht schmächtig. Wenn sie ehrlich war, verblasste jeder neben diesem Mann.
Wer ist das? fragte sie sich. Während sie ihn anstarrte, drehte er sich um, und ihre Blicke begegneten sich durch die Glastrennwand. Er war äußerst attraktiv: dunkel fun