: Pieke Biermann
: Violetta. Kriminalroman
: CULTurBOOKS
: 9783959882118
: 1
: CHF 8.90
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 304
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Berlin-Quartett, zweiter Streich: Hitzewelle im Sommer '89, Flimmern und grelle Farben: Lietze und Konsorten haben alle Hände voll zu tun. Am Winterfeldtplatz wird eine misshandelte tote Hure gefunden. Mit Stempel auf der Stirn. Was übelste Assoziationen weckt. Und jemand killt nette Männer nach dem Sex. Gibt's so was wie Serienmörderinnen? Hochgradig unwahrscheinlich, aber wer weiß das schon in dieser komplett durchdrehenden Stadt? »Der deutsche Krimi hat nicht nur eine Hauptstadt, er hat auch eine Autorin dafür!« Süddeutsche Zeitung »Zunehmender Fremdenhass, Gewalt gegen Frauen, die offenen Grenzen zu Polen und der Zulauf zu den Republikanern: Das ist der Stoff, mit dem Pieke Biermann arbeitet und spielt. Mit Ernst und Humor zugleich. Und mit Spannung bis zur letzten Seite.« Tages-Anzeiger Das Berlin-Quartett von Pieke Biermann erwischt die Stadt mitten im Umbruch. Berlin ist keine artige Kulisse, sie atmet, brüllt, lacht, zuckt und räkelt sich über die Genregrenzen hinweg. Tolle Charaktere vom Strich bis zu den Bullen, bilderstark, realistisch, poetisch, berlinerisch: ein Großstadt-Jahrzehnt so hart und wild wie das Leben.

Pieke Biermann, Schriftstellerin, Literaturübersetzerin, Journalistin, schloss ihr Studium (deutsche Literatur und Sprache sowie Anglistik und politische Wissenschaften) mit einer Magisterarbeit über unbezahlte Hausarbeit ab. Ab 1976 Aktivistin in der Berliner Frauenbewegung, in den 1980ern »Frontfrau« der Hurenbewegung. Für ihr funkelndes Krimiquartett um Berlin, »die unbekannte Metropole der westlichen Welt: eine Stadt, die aus Mythen zu bestehen scheint«, erhielt sie reichlich Auszeichnungen. Sie hat u. a. Liza Cody (Gimme more), Fran Ross (Oreo) und Ann Petry ins Deutsche übersetzt.

Die 235. von allen


UM 6 UHR 30 an einem Montag im Hochsommer stand der Erste Kriminalhauptkommissar in der Eingangshalle einer normannischen Festung in der Keithstraße Nr. 28. Frisch erholt, frisch geduscht und schon wieder verklebt an Haupt und Gliedern. Kurzes Zupfen vorn am T-Shirt, kleine Brise für den Bauch. Eine Hand durch die feuchten blonden Haare. Blick auf das Schild:Direktion III – Delikte am Menschen und Organisierte Kriminalität.

Ja, dies hier war ihr regulärer Arbeitsplatz. Sie nestelte an ihrer Schultertasche. Warum nicht Amrum?, schoss ihr durch den Kopf, während sie nach der Schachtel tastete. Sie musste grinsen. Die Vorstellung, sie, der EKHK Lietze (Vorname: Karin), verbrachte den Rest ihrer Tage mit dem Schieben ein und derselben ruhigen Kugel inmitten einer nordfriesischen Insel-Idylle, war harntreibend. Zumal sie sich da während der vergangenen vierzehn Tage mit der Abwehr spätadoleszierender Hofmacher hatte herumschlagen dürfen, ausnahmslos aus der Altersgruppe zwischen Faltenwurf und Fettleber. Durchschnittlich zweimal pro Tag hatte sie nach einer befriedigenden Antwort auf die Frage: Warum Amrum?, gefahndet. Denn das Vergnügen, nicht baden zu dürfen, hätte sie an der Adria ebenso gut haben können, den Genuss von Natur in homöopathisch kleinen Dosen in jeder Großstadt.

Ach, Unsinn. Wer weiß, wozu’s gut war. Sie hatte eben ihre voyeuristische Kompetenz trainiert und sich auf die reine Kontemplation verlegt: Das genießerische Betrachten der seltenen Exemplare ansehnlicher Männlichkeit. Die waren ­ohnehin entweder pausenlos in modernes Familienglück ver­wickelte neue Väter oder schwul. Oder von der Jugendlichkeit, an der sie sich vor nicht sehr langer Zeit erst die Finger verbrannt hatte … Dann lieber die Welt durch die Brille der Vorstellung.

»Morng, Frau Hauptkommissarin!« Der kleine dicke Uniformträger mit dem Walkie-Talkie vor dem Bauch kam aus dem Glaskasten am Ende der Halle und reckte schon von weitem beflissen die rechte Hand.

»Guten Morgen, Ritter.« Lietze drückte zu und zog ihn dabei zu sich heran. »Ab sofort einfach Lietze, abgemacht?«

Sie zwinkerte ihm vertraulich zu, und Ritter lief pünktlich rot an. Dazu war’s gut gewesen, befand Lietze befriedigt. Strapazierfähige Nerven.

Sie hatte endlich die Schachtel Lucky Luciano aus der ­Tasche gefingert, steckte sich eine an und hielt ihm die Schachtel entgegen.

»Nee, ick darf doch nich mehr. Meine Frau hat meine janzen Zigarilljos wechjeschmissen. Stinkt ihr, sagt se.«

»Was – jetzt noch?«, platzte Lietze heraus. Ritter stand kurz vor der Pensionsgrenze.

»Na wieso, ick hab doch ’ne Neue. Letzte Woche jeehelicht. Sie war’n ja nich da …«, sagte Ritter entschuldigend.

»Ach so, na, herzlichen Glückwunsch! Und dann gleich eine echte Mimose!« Hoffentlich duftet sie entsprechend, dachte Lietze, behielt das aber für sich. »Greifen Sie trotzdem zu. Oder womit soll ich mich in Zukunft für Ihren Kaffee revanchieren?«

Der Wachmann wurde wieder rot. »Na, wenn Sie det sagen. Ick muss se ja nich kurz vor Feierabend rauchen. Müssen sowieso nich alles wissen, die Wei–, äh, ’tschuldjunk! Die Frau–, ach du Scheiße!«

Zu Ritters grenzenloser Erleichterung klingelte in diesem Augenblick das Telefon im Glaskäfig. Er griff sich eine Lucky Luciano und stürzte davon. Lietze steckte die Schachtel in die Tasche zurück und beobachtete, wie Ritter abnahm, dann eine Hand auf die Sprechmuschel legte und mit dem anderen Arm durch die Luft ruderte. Sie ging zu ihm. »Nischt für u