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1. Kapitel
Nicht Unordnung, sondern Frieden
»Es herrschte das nackte Chaos!«
Was das aufschwingende Garagentor an Durcheinander in unserer Garage offenbarte, war mir zwar irgendwie bewusst gewesen und dennoch: Ein Teil von mir hatte es einfach nicht wahrhaben wollen.
Ich hatte es jahrelang erfolgreich verdrängt, ignoriert, einfach ausgeblendet. Doch immer mit der leisen Ahnung: »Irgendwann wirst du dich diesem Chaos einmal zuwenden müssen. Irgendwann kommt die Zeit, diese Garage aufzuräumen.« Über die Jahre ist ein bunter Mix aus Gartengeräten, alten Blumentöpfen, Fahrrädern und Werkzeug entstanden. Eine völlig überladene Werkbank, ein uralter, verrotteter Schrank voller Trödel, alten Farbdosen und vergilbten Behältern, mit irgendwelchen Substanzen, deren Etiketten schon vor vielen Jahren nicht mehr zu entziffern waren – bei einigen ist allerdings noch altdeutsche Frakturschrift zu erkennen.
Als wir das Haus vor beinahe zwanzig Jahren gekauft haben, war auch diese halb gefüllte Garage mit dabei gewesen, voller altem Werkzeug und Geräten vom Vorbesitzer. Und natürlich habe ich »das« nicht weggeworfen. Wer weiß, wann man »das« noch mal braucht! Bei manchen Geräten war mir allerdings schon damals gar nicht klar, wofür man »das« überhaupt gebrauchen sollte. Aber egal. Wegwerfen kann man es immer noch, wir haben ja Platz.
Aber jetzt, viele Jahre später, ist die Garage ziemlich voll. Da sind angefangene Werkstücke aus Holz, die ich mal gebastelt, aber dann nicht fertiggestellt habe. Da sind Holzplatten für zukünftige Laubsägearbeiten, zwei große Rigipsplatten, die bei der Badezimmerrenovierung übrig geblieben sind. Außerdem Regalbretter, Metallschienen, Styroporplatten zur Dämmung, Randleisten, Korkplatten … eben alles, was in den Jahren so an Baumaterial-Resten angefallen ist. Daneben Werkzeug, das ich angeschafft, aber dann nie gebraucht habe. So viele stumme Zeugen von Plänen und Ideen, die ich zwar hatte, aber nie in die Tat umgesetzt habe. Altes Zeug, das ich übernommen, aber nie benutzt habe. Manches, das ich gut hätte benutzten können, wenn ich bloß gewusst hätte, dass ich es habe.
Und das alles ist überzogen von Schmutz. Mann, ist das hier dreckig! Wo kommt so viel Dreck eigentlich her? Die Decke und die Wände voller Spinnweben und Staub, der Boden voller Mäusedreck, altem Laub, runtergefallenen Schrauben und kleinen, abgeschnittenen Kabelresten. Gut, dass bei mir keiner weiß, wie es in der Garage aussieht. Da muss man sich ja schämen.
Da stand ich nun und ließ meinen Blick langsam über die Mischung aus Ursuppe, Resterampe, Holzwurmparadies und Mäuseklo wandern und wusste: Bisher konnte ich das verdrängen. Aber jetzt … jetzt ist Pandemie! Jetzt ist Kurzarbeit! Jetzt habe ich keine Ausrede mehr. Jetzt muss ich dem Chaos in der Garage zu Leibe rücken.
Zwei volle Tage war ich dann damit beschäftigt, zu fegen, auszuräumen, wegzuwerfen, zu sortieren, zu ordnen. Zwei Tage Chaos beseitigen, den therapeutischen Charakter dieses Unternehmens habe ich völlig unterschätzt. Denn diese Garage war viel mehr als nur ein vernachlässigter Aufbewahrungsort. Diese Garage wurde mir zu einem Spiegel meiner Seele, meines Innenlebens.
Zeit für Inventur
Dreißig Jahre im hauptamtlichen Dienst hatte ich hinter mir, als die weltweite Pandemie über uns alle hereinbrach. Dreißig Jahre stetig gefülltes Leben voller Herausforderungen, Siege, Niederlagen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Dreißig Jahre voller Tempo. Gefühlt hatte sich die Dauer einer Woche im Laufe d