KAPITEL 1 IN DER WILDNIS – DER ORT, DER UNS AN UNSERE BERUFUNG FÜHRT
Man muss
weggehen
können
und doch sein wie ein Baum
als bliebe die Wurzel im Boden
als zöge die Landschaft und wir
stünden fest.
HILDE DOMIN2
Ich stand vor der Tür. Mein Herz hämmerte. Meine Hände waren schweißnass. Ich schluckte den Kloß im Hals herunter und redete mir selbst gut zu: »Komm schon, du bist erwachsen! Das sollte dir doch eigentlich nichts mehr ausmachen.« Doch mein Herz hämmerte nur weiter und die Stimme in mir wurde lauter: »Du hast schon Neuanfänge hinter dir. Du weißt, wie so etwas abläuft: Am Anfang wirst du dich fremd fühlen, weil du die Neue bist, und nicht dazugehören. Klar, du wirst dir deinen Platz verdienen müssen. Aber irgendwann wirst du Teil der Gruppe sein und dazugehören. Also stell dich gefälligst nicht so an! Heb den Kopf, beiß die Zähne zusammen, steh aufrecht und geh da rein!«
Ich atmete tief durch und drückte langsam die Türklinke runter. Acht Gesichter blickten mich an. Manche offen. Andere kritisch und fragend. Ich schloss die Tür hinter mir, schaute mich nach einem Platz um und setzte mich. Ob das Pochen meines Herzens wohl durch mein T-Shirt hindurch zu sehen war? Da war ich also: die Neue. Die, die die Spielregeln erst noch lernen musste. Die, die fremd war. Und anders. Unsicher.
Dabei war ich bereit zum Aufbruch! Hatte sogar andere Angebote ausgeschlagen, um mich beruflich auf die Gründung einer völlig neuen Arbeit in Deutschland einzulassen. Hinter mir lagen viele Fragen und Zweifel, ob das wirklich der richtige Platz für mich war, und Gespräche über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der neuen Herausforderung. Am Ende dieses Prozesses startete ich mit der Ahnung, dass Gott mich an diesen neuen Platz gerufen hatte. Hinzu kam, dass ich die dringende Notwendigkeit dieser Arbeit sah. Ich war frustriert über den Status quo und genau das half mir bei der Entscheidung, diese Aufgabe anzunehmen. Ich wollte etwas verändern.
Vielleicht hatte ich an diesem ersten Tag insgeheim erwartet, dass sich zu meiner inneren Überzeugung auch das Gefühl, am richtigen Platz zu sein, dazugesellen würde. Dass Gott mir – zumindest ein bisschen – Konfettiregen und Lobeshymnen schenken würde. Ich wollte, dass es sich gut anfühlt bei diesem Neuaufbruch. Immerhin war ich bereit, eine völlig neue Aufgabe zu übernehmen – und das als Mutter von drei Kindern.
Mein Auftrag war es, frische Formen von Kirche für Familien zu entwickeln. Hierfür gab es keine Struktur, meine Stelle war zum großen Teil über Spenden und Stiftungsgelder finanziert, was uns als Familie herausforderte. Mein Mann und ich beschlossen, für meine neue Aufgabe jeweils in Teilzeit zu arbeiten, und jonglierten ab dem ersten Tag zwischen Kindergarten, Vesperbroten, Autofahrten, Kindergeburtstagen, Referententätigkeiten, Hausaufgaben, Mails und Meetings. Ich war überzeugt, dass ich die neue Herausforderung angehen sollte. Dass es nötig war, endlich Kirchen- und Gottesdienstformen zu finden, die Familien in den Blick nehmen. Ich hatte mich immer fremder in meiner eigenen Kirche gefühlt und wollte etwas verändern. Zu lange schon hatte ich an den festgefahrenen Strukturen dieser Kirche gelitten, hatte ich gesehen, was eigentlich längst hätte getan werden müssen – und nie wirklich getan worden war.
In Großbritannien waren solche neuen Formen bereits entstanden, ich hatte es selbst erlebt und war fest davon überzeugt, dass sie auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen könnten. Jahre zuvor hatte ich ein Schlüsselerlebnis auf einem Kongress gehabt, das mir deutlich vor Aug