Hochsensibilität. Verstehen
Grundsätzliches und Wissenswertes
Wie alles begann
Falls Sie erst kürzlich auf das Thema Hochsensibilität gestoßen sind, fängt die Geschichte für Sie erst jetzt an. Für mich begann sie 2008, als mich eine Freundin anrief und mir von einem Buch zum Thema erzählte. Für Elaine Aron, Klinische Psychologin aus San Francisco, mag sie Anfang der 1990er-Jahre begonnen haben, als sie diesen Wesenszug systematisch erforschte und ihr erstes Buch darüber schrieb. Im deutschsprachigen Raum fiel der Startschuss ein paar Jahre später, Anfang des neuen Jahrtausends, als Arons Bücher erstmalig auf Deutsch erschienen. In der Geschichte insgesamt liegt der Startpunkt schon wesentlich früher.
Tatsächlich war bereits den Menschen im Altertum bewusst, dass sich Menschen in ihrer Empfindsamkeit unterscheiden. Entgegen der Meinung vieler Kritiker, Hochsensibilität sei eine Modeerscheinung und ein »Zeitgeistthema«, kann ich aufgrund meiner intensiven Beschäftigung damit sagen, dass es seit jeher sehr sensible Menschen gegeben hat. Allerdings lässt sich beobachten, dass aktuell wohl erstmalig in der Geschichte Hochsensibilität in der breiten Öffentlichkeit sehr viel Aufmerksamkeit erhält und sich viele Menschen mit diesem Begriff identifizieren. Dabei werden durch einseitige Berichterstattung in den Medien und lückenhaftes Allgemeinwissen Missverständnisse geschürt.
Es gibt viele Theorien darüber, weshalb immer mehr Menschen empfindlich auf Reize reagieren. Während Empfindlichkeit im öffentlichen Sprachgebrauch negativ gefärbt ist (»Sei nicht immer so empfindlich«), aber durchaus auch Sensibilität einschließt, geht der Begriff der Empfindsamkeit auf die Zeit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts zurück, die man auch als Zeitalter der Empfindsamkeit bezeichnet.5 In der damaligen Auffassung wurde überschwängliches Gefühl nicht als Makel betrachtet, sondern als Merkmal eines sittlichen Menschen. Wie Tom Falkenstein schreibt, gehörte das Kultivieren der Empfindsamkeit zum guten Ton, vor allem bei Männern aus gutem Hause.6 Es ist also nicht falsch, von Empfindlichkeit zu sprechen, wenn wir Hochsensibilität einen. Ich bevorzuge dennoch den Begriff Empfindsamkeit, weil er auch das positive Reagieren auf Reize in den Fokus nimmt.
Zu den angesprochenen Theorien gehört die Auffassung, dass die Böden, auf denen Ackerbau betrieben wird, durch Misswirtschaft (übertriebene Ertragssteigerung durch Düngemittel und den Einsatz von Pestiziden) belastet und ausgelaugt sind und dadurch die Lebensmittel weniger vollwertig sind. Dadurch können Mangelzustände im menschlichen Organismus entstehen, und möglicherweise reagieren hochsensible Menschen darauf besonders stark. Ein Arzt hat mir einmal erläutert, dass das hochsensible Gehirn mit Spitzensportlern zu vergleichen ist und dass es deshalb genauso viel Energie benötigt wie diese.
Aufgrund dieser Zusammenhänge werden Nahrungsmittelergänzungspräparate im Zusammenhang mit Hochsensibilität diskutiert.7 Wie Anne-Barbara Kern schreibt, stellt Nahrungsergänzung alleine aber nicht die Lösung aller Probleme dar. Durch die Mittel wird lediglich die Energie zur Verfügung gestellt, damit das Gehirn leistungsfähiger ist und mentale Techniken wirkungsvoller sind. Kern stellt klar, dass alte Verhaltensmuster dadurch nicht verändert werden und negative Muster sogar durch die erhöhte Energiezufuhr verstärkt oder wiedererweckt werden können.8 Deshalb sollten Nahrungsergänzungsmittel nur unter Beobachtung und Begleitung von Fachpersonen eingenommen werden.
Nicht alles, was empfindlich ist, ist hochsensibel. Die Tendenz, alles, was nur annähernd empfindsam ist, mit Hochsensibilität in einen Topf zu werfen, beobachte ich daher mit Sorge. Vieles wird miteinander vermischt und verwechselt. Durch Halbwissen verbreiten sich unseriöse Ansichten darüber, was Hochsensibilität ist, und es werden Ressentiments geschürt mit Aussagen und Fragen wie: »Sind das diese Mimosen?«, »Für Weicheier ist kein Platz in dieser Welt«, od