Push back the square
Now that you need her, and you throw
Well, there you go
’Cause back in school
We are the leaders of all
Deftones, »Pink Maggit«
Liebe Leserinnen und Leser, glauben Sie an Zufälle? Meine spontane Antwort lautet definitiv »Ja«. Aber von Zeit zu Zeit kommen mir gewisse Zweifel an dieser Überzeugung, denn manche Dinge im Leben passieren genau in Momenten, die besser nicht passen könnten. Vor einigen Monaten stand ich vor einer schwierigen unternehmerischen Entscheidung. Obwohl ich alle möglichen Szenarien bestmöglich durchdacht hatte, drückte ich mich vor dem notwendigen Schritt, so gut es ging. Kein Wunder, denn das Risiko war groß, und obwohl ich rational genau wusste, dass Unsicherheit ein vollkommen normaler Faktor bei harten Entscheidungen ist, lähmte diese mich so sehr, dass ich erstarrte wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.
Und es wäre wahrscheinlich noch länger so weitergegangen, wenn mir nicht der eben beschriebene Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Bei der Recherche für ein YouTube-Video stolperte ich über einen Blogbeitrag zum Thema Stoizismus, in dem zur Visualisierung des Textes eine Münze abgebildet war1. Ich weiß nicht mehr genau, was mich daran so faszinierte, aber wie selbstverständlich zoomte ich heran, damit ich die Gravur besser lesen konnte. Und auf eine fast schon magische Weise fokussierten meine Augen die beiden Worte, die mich umgehend in ihren Bann zogen:Memento mori.
Dieser lateinische Satz lässt sich wohl am besten mit »Sei dir der Sterblichkeit bewusst« übersetzen.2 Und wie es oft im Leben ist, triggerte der Hinweis auf die Endlichkeit des Lebens die Erinnerung an eine Erfahrung, die ich bereits in meinem Buch »Mach es einfach! Warum wir keine Erlaubnis brauchen, um unser Leben zu verändern« geteilt habe.3 Die Geschichte ereignete sich an einem normalen Dienstag im Jahr 1994, als ich gerade meinen Zivildienst in einer integrativen Einrichtung am Universitätsklinikum der Hansestadt Lübeck absolvierte. Neben ambulanten Kindern mit Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten betreuten wir Patienten der unterschiedlichsten Pädiatriestationen, um für sie den Krankenhausalltag ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten. Eines dieser Kinder hatte ich besonders ins Herz geschlossen. Tommy war ein neunjähriger Junge, der wegen eines Hirntumors auf der Kinderkrebsstation lag. Er hatte schon mehrere Operationen klaglos über sich ergehen lassen und infolgedessen keine Haare mehr auf dem Kopf. Stattdessen zogen sich zwei riesige Narben über seinen kahlen Schädel, äußere Spuren des verzweifelten Kampfes der Ärzte gegen die grausame Krankheit. Doch der Krebs hatte sich bereits so weit in seinem kleinen Körper ausgebreitet, dass Tommy diesen Kampf schlichtweg nicht gewinnen konnte.
Er hätte jeden Grund der Welt gehabt, niedergeschmettert und frustriert zu sein, doch das Gegenteil war der Fall. Trotz der erschütternden Diagnose war dieser tapfere Junge das fröhlichste Kind der gesamten Einrichtung. Mit einer ansteckenden Leidenschaft schnitzte er sich kleine Holzschwerter an der Werkbank, puzzelte vor sich hin oder übte so lange auf der Gitarre, bis er endlichHouse of the Rising Sun spielen konnte. Und wenn er dann irgendwann zu erschöpft war, war es für ihn das Größte überhaupt, wenn ich ihm aus den Comics von Asterix und Obelix vorlas.
Tommys unbändige Lebensfreude faszinierte mich. Er war stets gut gelaunt, lachte viel und steckte die anderen Kinder mit seiner Positivität an. Doch gleichzeitig verschlechterte sich sein körperlicher Zustand rapide, und die Abstände, in denen ich Tommy nicht mehr sah, wurden immer größer. Aber an besagtem Dienstag saß er wieder einmal auf meinem Schoß und ich las ihmAsterix in Spanien vor. Alles war eigentlich wie immer, doch auf einmal sagte Tommy fast schon beiläufig einen Satz zu mir, der sich tief bei mir eingebrannt hat: »Ilja, ich weiß, dass ich bald sterben werde. Aber ich habe keine Angst, weil der liebe Gott auf mich aufpasst. Ich finds übrigens super, dass du mir immer so viel vorliest. Die Pfleger auf der Station haben nie Lust dazu. Als Dankeschön schnitze ich dir morgen an der Werkbank einen Talisman.«
Obwohl mir die Tränen mit voller Wucht in die Augen schossen, versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Mit brüchiger Stimme antwortete ich: »Cool, da freue ich mich drauf.« Weil von Tommy keine Reaktio