Das Haus stand still in der zirpenden Wiese, der alte, ein wenig verkommene Teil düster, alle seine Fensterläden waren zugeklappt und verbargen, was dort zu verbergen war, der neue Teil hell und einladend, und das Metalldach glänzte in der Nachmittagssonne.
Die Hemdsärmel bis über die Bizepse hochgekrempelt, die Locken wild vom Schweiß, drehte Frau Neumüller noch eine Runde über das Grundstück. Sie warf einen Blick in die wassergefüllte Steinwanne mit der Pumpe und einen auf die Feuerstelle, fegte ein paar vertrocknete Blütendolden vom Steintisch und sah zwei Libellen nach, die, nachdem sie für einen Moment blaufunkelnd in der Luft stehengeblieben waren, einander über den Weiher nachsetzten. Sie schaute auch nach den Ringelnattern aus, die oft darin schwammen, konnte aber keine entdecken. Dann ging sie die kleine Steigung hinauf ums Gebäude, hängte den Schlüsselbund an den Nagel neben der Haustür zum Neubau und marschierte zu ihrem Kombi.Schon einen Moment später brauste sie den Schotterweg, der zur Straße führte, entlang, dass die Steinchen nur so flogen.
Entschieden zu lange hatte sie auf die Familie Emmerich gewartet, die die nächsten drei Wochen hier oben verbringen wollte. Sie hatte eine Nachricht geschickt, die unbeantwortet geblieben war, hatte versucht anzurufen, aber es war keine Verbindung zustande gekommen. Jetzt musste sie wieder runter in den Ort, es war Montag, sie hatte ihre Verpflichtungen und konnte nicht ewig auf dem Krähenriegel zubringen.
Dass sie die Feriengäste nicht erreicht hatte, lag übrigens nicht am Netz hier oben. Der Empfang war hervorragend. Aber bereits im ersten Stau, irgendwo zwischen Braunschweig und Magdeburg, hatten Nick und Jula Emmerich den Akku vom Smartphone ihres Papas Claus leergezockt. Und kurz vor Leipzig passierte dasselbe mit dem Gerät ihrer älteren Schwester Agda. Die hatte sich mit drei Freundinnen parallel geschrieben, Fotos hin- und hergeschickt und nebenbei YouTube-Videos mit Bruce Lee angeguckt. Bruce Lee, der als Schuljunge Wing Tsun gelernt hatte, genau wie Agda es seit einem halben Jahr tat, und der später ein berühmter Kampfkünstler geworden war, genau wie sie es vorhatte. Und als Claus sie kurz vor Regensburg bat, die Verwalterin anzurufen und Bescheid zu geben, dass ihre Ankunft sich um mindestens anderthalb Stunden verschieben werde, aber auch drei, vier, fünf Stunden seien möglich, konnte sie nur mit den Schultern zucken.
»Geht nicht, du besitzt ja leider kein Autoladekabel wie jeder normale Mensch mit Auto«, hatte Agda erwidert, elegant darüber hinweggehend, dass sie diesen Anruf ohnehin nicht gemacht hätte. So gerne sie ihr Smartphone hatte, so sehr hasste sie es, mit wildfremden Leuten zu telefonieren. »Aber willst du wissen, was Bruce Lee im Trailer vonTodesgrüße aus Shanghai macht?«
»Nein!«, sagte Claus. »Und du solltest es eigentlich auch nicht wissen, soweit ich eure Mutter verstanden habe.«
Agda schwieg einen Moment. »Willst du denn vielleicht noch ein Bonbon, Papa?«, fragte sie dann.
Claus Emmerichwollte noch ein Bonbon. »Ein oranges, bitte«, seufzte er.
»Und ich ein gelbes!«, rief Nick von der Rückbank.
»Und ich ein grünes!«, rief Jula.
»Grüne gibt es doch nicht.« Agda verdrehte die Augen. »Das hab ich dir schon tausendmal gesagt.«
»Ich will trotzdem ein grünes«, sagte Jula, denn Grün war ihre Lieblingsfarbe. »Aber ich nehm auch alle anderen.«
Also reichte