1.
Es war viel zu heiß und trocken an diesem Julitag. Antke van der Kark stand am Küchenfenster vom »Seehof«, einem großen Islandpferdehof in der Nähe der Nordsee, und schaute hinaus. Die Hitze ließ die Steine im Sonnenlicht flirren, jede Bewegung war schweißtreibend.
Es wurde Zeit, dass es regnete. Die Wiesen waren bereits gelb verfärbt.
Der Wetterbericht hatte eine Gewitterfront angekündigt und Antke hoffte, dass sie das Wangerland auch erreichen würde. Eine Abkühlung wäre wunderbar und würde allen gut tun. Sie war froh, dass sie im Frühjahr ihr graues Haar raspelkurz hatte schneiden lassen. Nun sah sie zwar ein bisschen aus wie ein Igel, der sich kurz vor dem Winterschlaf ordentlich gemästet hatte, aber damit konnte sie leben. Sie musste keinem Mann mehr gefallen.
Auf dem Hof war es ohnehin praktisch, wenn man weite Kleidung trug, und die umspielte dabei praktischerweise Bauch und Hüften ganz wunderbar.
Momentan war Hauptsaison und ihre Pension war bis zum letzten Zimmer ausgebucht. Heute waren die meisten allerdings am Strand, denn zum Reiten war es viel zu warm.
Antke zuckte zusammen, als ein kleiner, roter Flitzer auf den Hof brauste und abrupt stoppte. Die Tür öffnete sich eher vorsichtig und das Erste, was Antke von der Fahrerin sah, waren lange Beine, die in roten Lederpumps steckten und sich aus dem Wagen schoben. Darauf folgte der Körper einer überaus schlanken Frau. Der schwarze Rock klebte an ihr wie eine zweite Haut und eine wallende blonde Mähne umspielte ein Gesicht, das sich fast ganz hinter einer großen Sonnenbrille versteckte.
Antke lupfte den Vorhang mit dem Zeigfinger zur Seite, um die Frau besser in Augenschein nehmen zu können. Diese beugte sich gerade ins Innere des Wagens und zog eine weiße Tasche, passend zur Bluse, heraus.
Die Fremde stand unschlüssig auf dem Hof und sah sich suchend um.
Ob die sich wohl verfahren hat?, fragte sich Antke. So eine wird ja wohl kaum auf einem Islandpferdehof Ferien machen wollen.
Sie ließ die Gardine wieder vor das weiße Sprossenfenster gleiten. Sicher würde ihre Tochter Monika, die für den Ablauf auf dem »Seehof« verantwortlich war, gleich aus dem Stall kommen und die Frau fragen, was sie hier wollte.
Antke setzte sich wieder auf die Kücheneckbank, legte ein Kluntje in die Tasse und goss etwas Tee nach. Während sie trank, schweifte ihr Blick erneut nach draußen. Die Frau taxierte den Hof noch immer, als suche sie nach etwas, das ihr vertraut vorkam. Kurz war Antke versucht, doch rauszugehen und sie zu fragen, wen oder was sie suchte, doch dann entschied sie sich fürs Abwarten. Mit etwas Glück fuhr die Frau gleich einfach wieder weg.
Als ihre Tochter auch nach weiteren zwei Minuten nicht aus dem Stall auftauchte, wurde Antke unruhig.
Komisch, dachte sie seufzend. Wo steckt sie denn? Ich muss mich wohl doch selbst bemühen.
Sie wollte gerade aufstehen, als die Frau die Brille abnahm