: Bolu Babalola
: In all deinen Farben Love Stories | Die schönsten Love Stories aus aller Welt frisch und modern neu erzählt
: Eisele eBooks
: 9783961611393
: 1
: CHF 13.50
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Ein subversives Korrektiv für die westliche Vorstellung davon, wer in der Liebe den Ton angibt.« NEW YORK TIMES Bolu Babalola hat die schönsten Liebesgeschichten der Mythologie mit unglaublicher Frische und Lebendigkeit neu erzählt. Sie konzentriert sich auf die magischen Volksmärchen Westafrikas und erfindet auch griechische Mythen, alte Legenden aus dem Nahen Osten und Geschichten aus Ländern neu, die in unserer Welt nicht mehr existieren. Die Frauen in ihren Love Stories sind kämpferische Verfechterinnen ihrer Leidenschaft, verlieren aber nie den Blick darauf, dass die wichtigste Liebe von allen die Selbstliebe ist. Während in der Mythologie Frauen oft die Opfer männlicher Begierde sind, geben bei Bolu Babalola immer die Frauen den Ton an und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. In all deinen Farben wechselt aufregend Perspektiven, Kontinente und Stile, durchschreitet Grenzen von Zeit und Raum - und feiert die Romantik in all ihren Formen.

BOLU BABALOLA ist britisch-nigerianischer Abstammung, Twitter-Ikone und Autorin des Bestsellers In all deinen Farben, in dem sie mythologischen Stoffen aus aller Welt einen feministischen Anstrich verlieh. Sie hat einen irreführenden Bachelor in Rechtswissenschaften und einem Master in Amerikanischer Politik und Geschichte. Ihre Dissertation schrieb sie über Beyoncés Lemonade und wurde dafür ausgezeichnet. Sie hat also im Wesentlichen einen Master-Abschluss in Beyoncé. Neben ihrer Arbeit als Drehbuchautorin veröffentlicht sie mit Honey& Spice nun ihren ersten Roman.

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ỌṢUN WAR ES GEWOHNT, angestarrt zu werden. Ehrfürchtig, lüstern, neugierig. Sie spürte instinktiv, wenn jemand den Blick über sie wandern ließ in dem Bestreben, anhand ihres Äußeren möglichst viel über sie zu erfahren. Ihr leicht vorgerecktes Kinn, ihre schlanken, athletischen Arme und Beine, ihre breite, sich wiegende Hüfte, von der eine durch und durch natürliche, nicht zu bändigende Weiblichkeit ausging – für manche kam all das einer Frage gleich, auf die sie einfach antworten mussten, für andere war es eine Machtdemonstration, etwas, das ihnen Furcht und Verehrung einflößte. Als Wettkampfschwimmerin der Ifá Academy verfügte Ọṣun über eine angeborene Ausstrahlung, die sie auch dann umgab, wenn sie vor dem Sprung ins Becken durch die Luft segelte. Sekunden später glitten ihre preisgekrönten Gliedmaßen majestätisch durch das gechlorte Wasser, als wäre es das Meer und sie die Strömung selbst. Die Energie. Die Anziehungskraft des Mondes. Sie verwandelte das Becken in einen von der Sonne beschienenen See. Obwohl ihre flinken Bewegungen von messerscharfer Präzision waren, verlieh Ọṣun ihren übernatürlichen Fähigkeiten eine unbeschwerte Note, eine lässige Eleganz. Jeder Armzug, jeder Beinschlag wirkte, als beziehe sie ihre Kraft direkt aus dem Wasser. Wer ihr zusah, der gewann den Eindruck, als existierte das Wasser ausschließlich, um ihr als Auf- und Antrieb zu dienen.

Ọṣun war daran gewöhnt, dass sie Aufsehen erregte, dass die Leute sie staunend beobachteten und allerlei Vermutungen über sie anstellten. Genau deshalb war sie in sich gekehrt und darum bemüht, so wenig wie nur irgend möglich von sich preiszugeben. Das Schwimmen war ihre Zuflucht. Schade nur, dass es ein Publikum erforderte. Bei den Wettkämpfen achtete sie weder auf das Johlen auf der Zuschauertribüne noch auf die überflüssigen Befehle ihres Betreuers (der lediglich schmückendes Beiwerk war, ein Symbol für die Macht der Akademie über Ọṣuns Triumphe, als hätte sie nicht bereits im Alter von drei Jahren mit ihrer an einen Tanz erinnernden Darbietung ein ödes Becken in einen Teich verzaubert). Sie konzentrierte sich bei diesen Schwimmwettbewerben ganz auf das klatschende Geräusch, mit dem die Wellen auf ihre Haut trafen und das an die Schläge einer Hand auf das straff gespannte Fell einer Sprechtrommel erinnerte. Aus ihren Bewegungen wurde eine Choreographie zu dem Rhythmus, den sie mithilfe des Wassers selbst vorgab. Mit jedem Auf und Ab der Hüfte glitt ein Arm klingengleich durchs Wasser, bis sie nicht mehr bloß einer von zahlreichen Körpern in einem sterilen, gefliesten Becken war, nein, sie warder Körper, der einzige Körper, dynamisch und schwer atmend. Wenn die Musik verstummte, war sie am Ziel, allein. Nur sie selbst wusste, dass sie eine Tänzerin war; alle anderen sahen in ihr lediglich eine herausragende Athletin.

Ọṣun war es gewohnt, angestarrt zu werden und das Starren zu ignorieren. Die meisten Menschen würden behaupten, sie sähen bei einem Blick ins Wasser sich selbst, doch was sie wirklich sehen, ist ihr Spiegelbild, zurückgeworfenes Licht. Die Reflexion ist nichts weiter als eine Abwehrreaktion des Wassers gegen unwillkommene Eindringlinge. Wasser ist geduldig, aber im Grunde will es in Ruhe gelassen werden. Begib dich hinein, wenn du willst, trink davon, wenn du willst, aber spähe nicht teilnahmslos hinein. Ọṣun jedoch sah sich selbst, wenn ihr Blick auf die Wellen traf. Ihr Haar war weich, eine üppige, dunkle Mähne aus dichten Locken, die sich wie schäumende Gischt um ihr Gesicht bauschten. Ihre geheimnisvollen, mandelförmigen Augen, unergründlich wie der Ozean, fielen zur Nase hin leicht ab, gerade so, als wären sie zu schwer, um auf einer geraden Linie zu bleiben. Sie bargen allzu viel in sich – das gesamte Universum. Ọṣuns Haut war glatt und von einer satten dunklen Farbe wie ein riesiger See, unter dessen glitzernder Oberfläche sich in unermesslichen Tiefen eine ganze Welt verbirgt. Sie