1. Kapitel
Charlotte Stockworth blickte sich um, und ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie. Die junge Frau konnte es noch immer nicht glauben, dass ihr Mann und sie nun endlich in ihren eigenen vier Wänden lebten. Die Renovierungsarbeiten an ihrem Domizil in Mayfair hatten mehr Zeit in Anspruch genommen, als Charlotte gedacht hätte, doch dafür war ihr Heim nun umso gemütlicher. Während das Esszimmer ihrer Schwiegereltern Lord und Lady Stockworth klassisch in Rot gehalten war, hatte Charlotte helleren Farben den Vorzug gegeben. Die jadegrüne Tapete mit Goldmuster und die dazu passenden Vorhänge ließen den Raum erstrahlen, fand sie, und auch ihr Mann Basil war angetan. Stockworth, der als Inspektor bei Scotland Yard tagtäglich mit der dunklen Seite der menschlichen Seele konfrontiert wurde, sollte in ihrem Zuhause zur Ruhe kommen können. Da der Farbe Blau beruhigende Eigenschaften nachgesagt wurden, hatte die Hausherrin darauf bestanden, das gemeinsame Schlafzimmer in genau diesem Farbton zu gestalten. Auf der königsblauen Tapete prangten silberne Blümchen, die abends im Kerzenschein sanft leuchteten. Doch auch der Salon mit der weißen Tapete, auf der sich rote Rosen und Vorhänge im selben kräftigen Farbton befanden, war Charlottes ganzer Stolz. Ihr Start ins Leben mochte holprig gewesen sein, doch nun war ihre Seele nach Hause gekommen, dachte sie dankbar bei sich und nahm einen Schluck Tee.
»Wirst du heute deine Mutter treffen?« Stockworth riss sie aus ihren Gedanken.
»Es sieht ganz danach aus.« Charlotte presste ihre Lippen aufeinander, und sie fühlte sogleich den inneren Widerstand. Von den Entwicklungen der letzten Zeit war sie regelrecht überrumpelt worden.
Noch nicht einmal ein Monat war ins Land gegangen, seit die Wahrheit über ihre Herkunft ans Licht gekommen war: Carl von Winterberg war nicht Charlottes leiblicher Vater. Als ihre Tante, Anna von Krenze, bei ihren Schwiegereltern auf Lord Clarence Hazelton getroffen war, hatte sie das lang gehütete Geheimnis um Charlottes Existenz gelüftet: Obwohl bereits mit Carl von Winterberg verlobt, hatte sich ihre Mutter Hals über Kopf in den englischen Adligen verliebt, der zu Besuch in Berlin gewesen war. Aller Widrigkeiten zum Trotz waren die beiden sich nähergekommen, und Charlotte war das Ergebnis ihrer verbotenen Romanze. Im Gegensatz zu ihr aber hatte Amalie nicht den Mut aufgebracht, alles hinter sich zu lassen und mit dem Mann, den sie liebte, zu fliehen. So waren Amalie und ihre Tochter gezwungen gewesen, ein nahezu unerträgliches Leben an der Seite Carl von Winterbergs zu führen. Bisher hatte Charlotte es nicht über sich bringen können, ihrer Mutter deren verhängnisvolles Handeln zu verzeihen.
Lord Hazelton hatte seine große Liebe nun nach London geholt, und er erhoffte sich einen Neuanfang mit den zwei wichtigsten Frauen in seinem Leben, wie er es formulierte. Außerdem stand die Sicherheit ihrer M