: Rudolf Gaßenhuber, Robert Josef Kozljani?
: Auf der Suche nach der verlorenen Lebendigkeit Natur, Herrschaft, Herzsinn - Vom langen Weg zur Naturfreundschaft
: ZIEL Verlag
: 9783944708850
: 1
: CHF 7.90
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: Philosophie
: German
: 115
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die beiden Autoren sym-philosophieren in diesem Briefdialog auf mitreißende Art über die vorzivilisatorischen Grundlagen unserer Kultur, über Entfremdungsprozesse und darüber, wie wir ein Mit-der-Natur-Sein (wieder) verwirklichen könnten. Dabei werden die Autoren von einer starken dialogischen Dynamik erfasst. Sich gegenseitig anregend und fordernd werden viele tiefgehende Fragen gestellt: Was haben wir mit dem Auszug aus der Natur eigentlich verloren? Was bedeutet eine 'entzauberte' Welt und was könnte ein zu bewahrender Kern des Animismus denn sein? Welche Rolle spielen Herrschafts- und Machtstrukturen beim Verlust der Naturbindung? Können wir unseren Weltverlust verringern und unser Naturvertrauen vertiefen? Führt der Weg über Visionen und Grenzerlebnisse? Braucht es dabei Religionen und Rituale? Oder sind Herzöffnung und Sein-Lassen-Können wichtiger? Letztlich ist es womöglich ganz leicht. Wenn es uns nur gelingt, den Herzsinn zu öffnen, die Lebensquellen wieder freizulegen und das konkret Erfahrene miteinander zu kultivieren. Mit diesen Fragen und mit vielen Erfahrungsbeispielen und anschaulichen Metaphern bietet das Buch einen wertvollen Beitrag zur Auflösung einer heute von vielen Menschen empfundenen Naturferne, Verlorenheit und Ungeborgenheit.

Dipl. päd., geb. 1954, studierte Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Regensburg. Nach den Jahren der Theorie eröffnete er mit einem Partner eine Schreinerei und Messebaufirma. Sieben Jahren später, 1986, entdeckte er das Programmieren für sich und gründete eine Softwarefirma zur Entwicklung einer Datenbank zur Katalogproduktion, siehe www.gassenhuber.de. Seine Bindungen an Philosophie und Psychologie blieben unverändert lebendig. Seit etwa zehn Jahren arbeitet er zusätzlich als Psychotherapeut und philosophischer Gesprächspartner in eigener Praxis, siehe www.kontingenztherapie.de.

2. Ekstase, Alltag und Öffnung des Herzsinns

von Rudolf Gaßenhuber

15. Februar 2016

Lieber Herr Kozljanič,

Ihr überaus freundlicher und gedankenreicher Brief hat mich sehr gefreut. Ihre offene Bereitschaft, über die ‚Kleine Natur‘ nachzudenken hat mich überrascht und macht mich meinerseits geneigt, meine Skepsis gegenüber göttlichen Berufungen und Auserwählungen zu überdenken.

Sie sprechen von Ausbrüchen, Grenzüberschreitungen, gar Sprengungen, die nötig wären, um, sagen wir, das neuzeitliche Ego aus seinem Subjektgefängnis befreien zu können. Ja, die moderne Naturbeherrschung setzt eine Abschließung gegenüber dem Seelenhaften der Natur voraus. Erst durch diese Abschließung, sprich Objektivierung, entstehen die modernen Objekte. Wo vorher Wesen waren, ist jetzt bloßer Stoff und Funktion. Mutter Erde wird zur Ressource. Bonifatius fällt die Donar-Eiche, spaltet daraus Bretter und zimmert aus diesen Brettern eine kleine Holzkapelle, in der dann der neue christliche Gott zuhause ist. Hier verdichtet sich sinnbildlich der Auszug des Göttlichen aus der Natur, die Verwandlung der Natur in einen Rohstoff und die Konstruktion eines neuen Raums der Anbetung und Besinnung. Gott wohnt jetzt in dem ihm vom Menschen zugewiesenen Haus, die Natur kann daraufhin sukzessive materialisiert werden. Ihr Schutz als Schöpfung Gottes ist weit schwächer als es ihre Identität mit dem Göttlichen einst war. In Ihren Worten: Natur wird zum Schweigen gebracht, findet kaum noch Gehör.

Diese Abschließung ist ein langer Prozess, der mit Ackerbau und Viehzucht einen großen Sprung vollzog und heute in der Programmierung von Lebewesen in der Biotechnologie und dergleichen einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Wie lässt sich diese Abschließung wieder öffnen oder überschreiten? Ich möchte darauf zwiefältig antworten. Einmal mit der mir geläufigen Antwort ‚durch eine Herzöffnung‘ und dann, indem ich versuche, mich Ihrem Thema Visionen zu nähern.

Bonifatius fällt die Donar-Eiche, Radierung von Bernhard Rode von 1781

A) Ruhe

Eine Herzöffnung wäre der Weg zurück in die Welt. Bonifatius verlässt seine Holzkirche und er beginnt zu begreifen, was er an innerer und äußerer Zerstörung alles angerichtet hat. Die befürchtete Strafe Donars war ja nicht ausgeblieben. Sie bestand nur nicht in Blitzen und Unwettern, sondern im Weltverlust der Menschen. Es war einmal ein prächtiger Baum, sein Rauschen, seine Lebendigkeit, seine Seriosität, seine Dialogfähigkeit, sein schützendes Dach. Mauern an Wut und Trauer stehen vor dieser Einsicht.

Dieser Weg ist der Weg in die Beziehung mit anderen Wesen: Empathie, Mitgefühl, das Auge des Herzens, wie Sie so schön in Ihrem Vortrag sagen. Ich schlage vor, hierfür den noch treffenderen und fast schon ausgestorbenen Begriff „Herzsinn“ wieder zu verwenden. Mit dem Herzsinn besitzen wir ein eigenes Sinnesorgan, eine Art passiven Tastsinn für das Seelische der anderen Wesen; wir werden berührt und angesprochen.

Grenzerfahrungen und der Rekurs auf Außeralltägliches stehen nun für mich in diesem Kontext im Verdacht, an der Abstumpfung des Herzsinns und der Stärkung der Selbstbezüglichkeit mitzuwirken. An dieser Stelle möchte Ihnen einen Vortrag sozusagen ans Herz legen: „Stimmungen, Balancen, Grundkräfte – ein Modell des Heilseins“ (http://www.kontingenztherapie.de/artikel/theorie/Heilsein/Heilsein.pdf).

Im ersten Teil skizziere ich ein Modell psychosozialer Gesundheit, der zweite Teil handelt dann abSeite 18 direkt von unserem Thema. Dort heißt es: „Unsere Bindung an die Natur hat sich im Laufe der Geschichte durch eine zunehmende Distanzierung stark verringert. Der moderne Mensch fühlt sich weniger als Teil der Natur – etwa als Mensch unter Tieren – sondern mehr als ihr Gegenüber. Ein direktes Angesprochenwerden durch Natur nimmt ab.“ Im Anschluss werden drei Methoden der Entfernung aus der Natur skizziert: die Distanzierung von den Phänomenen der Natur, die Aufladung des Alltäglichen und der moderne technische Weltzugang.

B) Sturm

Was ist dran an Klages’: „Die Bäume rauschen, doch sie reden nur, dem, dessen Seele einst im Sturme fuhr“? Wichtig ist das Wörtchen „e