: Saul A. Kripke
: Gregor Michael Hörzer
: Identity and Necessity / Identität und Notwendigkeit. Englisch/Deutsch [Great Papers Philosophie] - Kripke, Saul A. - zweisprachige Ausgabe; Philosophie-Bücher - 14005
: Reclam Verlag
: 9783159619576
: Reclams Universal-Bibliothek
: 1
: CHF 6.10
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 197
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Thesen, die Kripke 1971 in seinem Aufsatz »Identity and Necessity« (und später in seinem Buch »Naming and Necessity«) entwickelte, haben die analytische Philosophie geprägt: Er stellt dort Überlegungen zur Bedeutung von Eigennamen sowie zur Rolle von Eigennamen und Beschreibungen in Identitätsaussagen an und untersucht das Verhältnis von Apriorität in der Erkenntnistheorie und Notwendigkeit in der Metaphysik. Sein Argument gegen die Identitätstheorie in der Philosophie des Geistes ist bis heute einflussreich. Die Neuübersetzung des klassischen Textes wird ausführlich kommentiert, der Verlauf der Argumentation nachgezeichnet und seine Nachwirkungen aufgezeigt. E-Book mit Seitenzählung der Originalpaginierung.

Saul A. Kripke, geb. 1940, ist ein einflussreicher amerikanischer Philosoph und Logiker. Gregor Hörzer, geb. 1981, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kognitionswissenschaft und assoziiertes Mitglied des Instituts für Philosophie an der Universität Osnabrück.

Identität und Notwendigkeit


SAUL KRIPKE

Rockefeller University

 

Ein Problem, das in der zeitgenössischen Philosophie immer wieder auftaucht, lautet: »Wie sindkontingente Identitätsaussagen möglich?« Diese Frage ist in Anlehnung an die Kantische Frage »Wie sindsynthetische Urteile a priori möglich?« formuliert. In beiden Fällen wurde üblicherweise etwas als selbstverständlich erachtet: im Fall Kants, dass synthetische Urteile a priori möglich sind, und im anderen Fall aus der zeitgenössischen philosophischen Literatur, dass kontingente Identitätsaussagen möglich sind. Ich habe nicht vor, mich mit der Kantischen Frage zu beschäftigen, mit Ausnahme der folgenden Analogie: Nachdem ein ziemlich dickes Buch in dem Versuch geschrieben wurde, die Frage zu beantworten, wie synthetische Urteile a priori möglich sind, kamen andere herbei, die behaupteten, die Lösung des Problems sei selbstverständlich, dass synthetische Urteile a priori unmöglich sind, und dass ein Buch, das versucht, das Gegenteil zu zeigen, vergeblich geschrieben worden sei. Ich werde nicht darauf eingehen, wer in Bezug auf die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori Recht hatte. Doch im Fall kontingenter Identitätsaussagen hatten die meisten Philosophen den Eindruck gewonnen, der Begriff einer kontingenten Identitätsaussage führe zu ungefähr der folgenden Paradoxie. Gegen die Möglichkeit kontingenter Identitätsaussagen kann etwa das folgende Argument vorgebracht werden:20[136]

Einerseits besagtdas Gesetz der Substituierbarkeit des Identischen: Für beliebige Gegenständex undy gilt, dass, wennx identisch mity ist, gilt: wennx eine bestimmte EigenschaftF hat, dann auchy:

 (1) (x)(y) [(x =y (Fx Fy)]

Andererseits ist mit Sicherheit jeder Gegenstand notwendigerweise mit sich selbst identisch:

 (2) (x) (x =x)

Nun ist aber

 (3) (x)(y) (x =y [ (x =x (x =y)]

eine Substitutionsinstanz von (1), dem Substituierbarkeitsgesetz. Aus (2) und (3) können wir schließen, dass für allex undy gilt: wennx mity identisch ist, so ist es notwendig, dassx mity identisch ist:

 (4) (x)(y) ((x =y