PROLOG
VOR EWIGEN ZEITEN in einem alten, verfallenen Palast spielten die zwei Schwestern Liebe und Tod ihr ewiges Spiel.
Tod war die Herrin des Palastes, und jeder Sterbliche, der zu seinen rostigen Toren reiste, kehrte nie zurück. Ihr Gesicht war so bleich wie ein Leichentuch, ihr Haar so dunkel wie Mitternacht. Sie trug ein schwarzes Gewand und die Kette einer Jägerin mit Zähnen, Krallen und Klauen als Anhängern. Ihre smaragdgrünen Augen verengten sich, als sie das Schachbrett vor sich betrachtete.
„Du bist am Zug“, sagte Liebe.
„Dessen bin ich mir bewusst“, sagte Tod.
„Tick-tack“, sagte Liebe.
„Nur Narren hetzen den Tod“, sagte Tod.
Seufzend erhob sich Liebe von dem Tisch, an dem Tod und sie saßen. Ihre Augen waren von demselben tiefen Grün wie die ihrer Schwester. Silberblondes Haar fiel ihr den Rücken hinunter. Ihr weißes Gewand hob sich leuchtend von ihrer dunklen Haut ab. Ihr einziger Schmuck war eine Halskette aus verschlungenen Weidenzweigen. Schimmernde Käfer, helle Schmetterlinge und düstere Spinnen hingen daran, jedes Tier ein lebendes Juwel.
In der Halle, wo die Schwestern spielten, stand ein großen Spiegel an der Wand, sein silberner Rahmen war fleckig und angelaufen. Liebe wischte mit der Hand über sein Glas, und ein Bild erschien. Es zeigte einen Speisesaal – einst prächtig, jetzt verfallen. Draußen vor den Rundbogenfenstern fiel Schnee. Drinnen ging eine gequälte Kreatur – halb Mensch, halb Tier – umher. Hin und her ging sie und warf dabei sehnsüchtige Blicke zur Tür. Ihre Augen waren grimmig, aber in ihrer Tiefe voller Qual.
Tod blickte auf. „Wie geht es deinem Biest in letzter Zeit?“, fragte sie schelmisch. „Zerschlägt es immer noch Möbel? Essteller? Die Fenster?“
„Ich habe Hoffnung für ihn“, erwiderte Liebe und berührte das Glas. „Zum ersten Mal.“
„Ich weiß nicht, warum“, sagte Tod. „Einmal ein Biest, immer ein Biest.“
„Du suchst immer das Schlimmste in jedem“, warf Liebe ihr vor.
„Und ich finde es immer“, erwiderte Tod und richtete ihren Blick zurück auf das Schachbrett. Sie runzelte die Stirn und trommelte mit ihren purpurroten Fingern auf den Tisch. Dann, mit einem verstohlenen Blick auf den Rücken ihrer Schwester, machte sie ihren Zug.
„Armer kleiner Bauer. So ein Pech“, murmelte sie und stupste ihren Springer über das Brett.
Die Schachfiguren aus Porzellan waren so bemalt, dass sie Höflingen bei einer Maskerade ähnelten. Das Gesicht des Ritters war durch einen Eisenhelm verborgen. Der Bauer war als Harlekin kostümiert. Obwohl sie aus Porzellan waren, lebten und atmeten sie.
Der Ritter rückte vor. Der Bauer hob die Hände und bettelte um sein Leben, aber der Ritter, unempfänglich für sein Flehen, schwang sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab. Porzellansplitter flogen über Spielbrett und Tisch. Der hübsche Kopf rollte über das Brett, d