»... geronnene Säure, die aus eines Sterns Hemisphären niederrann, ein Universum an Gold, ein gelber Kelch voller Wunder, das winzige Feuer eines Planeten.«
Ode an die Zitrone, Pablo Neruda
In dem FilmLove Is All You Need sagt die hübsche dänische Friseurin Ida inmitten von Zitronenbäumen zu Philip, sie könne sich eine Welt ohne Zitronen nicht vorstellen, die Zitrone sei ihre Lieblingsfrucht! Und Philip stimmt zu. Da versucht man für einen kurzen Augenblick der Verwirrung, sich doch tatsächlich eine Welt ohne diese Hesperidien vorzustellen. Ein Drama! Eine Tragödie! Man wagt es nicht einmal, das Ausmaß einer solchen Katastrophe einzuschätzen. Und das gilt nicht nur für die Küche, wo die Zitrone bekanntlich der Zauberstab der Köche ist. Die gesamte schöne Zitrusfrucht - Saft, Fleisch und Schale - bringt milde und reiche Aromen ins Gleichgewicht, verleiht Fisch und Fleisch das gewisse Etwas, gibt flachen Speisen eine pikante Säure, die unsere Geschmackspapillen anstachelt. Man könnte sich auch kaum vorstellen, wie das Leben ohne Zitronentarte mit Baiser aussehen würde, diese Köstlichkeit, für die ein Heiliger sein Seelenheil opfern und mancher Engel Federn lassen würde. Oder ohne Mojitos und Margaritas.
Der Dichter Pablo Neruda, der verrückt nach Zitronen war, beschrieb sie als die Brust einer Göttin, deren kleine Brustwarze die Erde mit ihrem Duft erfüllt, eine Art Kathedrale mit herben Winkeln und aromatischer Fassade. Und ausgehend von den entlegensten Winkeln Asiens bis an die Ufer des Mittelmeers - wo, den Arabern sei Dank, die Zitrone erst auf Sizilien, dann in Andalusien akklimatisiert wurde -, haben Köche sie zur Grundwürze erkoren. Sie ist das Must-have, ohne das die Kochkunst weniger subtil wäre und es den Cocktails am gewissen Etwas fehlen würde.
Doch bevor er die Köche betörte, entfaltete der Zauber »dieses Frucht gewordenen Aufleuchtens«, wie Neruda es nennt, seine Wirkung in anderen Sphären. Der Vorfahr der Zitrone, die Zitronatzitrone (Cedrat), begann, die Gärten zu verschönern und mit ihrem Duft zu erfüllen. Sie war der Star der Ziergärten. Der mitteilsame Plinius schrieb: »Die Frucht übrigens isst man nicht. Man schätzt sie und die Blätter hauptsächlich für ihren Duft.« Später wurde sie das Allheilmittel der Doktoren im alten Rom, die sie unter anderem für ein extrem wirksames Gegenmittel zu den unterschiedlichsten Giften betrachteten und bei der Behandlung von Epilepsie und zur Förderung der Verdauung einsetzten. Ihrem Abkömmling, der Zitrone, werden dieselben Tugenden zugeschrieben.
Das kleine Wunderwerk wollte sich mit seiner Rolle als Heilmittel nicht zufriedengeben und revolutionierte auch gleich noch die Schönheitspflege. In einer Welt ohne Zitronen wäre dieVenus von Botticelli ihres wundervollen venezianischen Blonds beraubt gewesen, ebenso wie die Grazien und ihre kleinen Gespielinnen inLa Primavera, die mit im Wind wehendem Haar im Garten der Hesperiden tanzen. Und wer weiß, obBella Simonetta unseren Sandro sonst auch so betört hätte! Im Mittelalter verwendeten die wohlhabenden Schönheiten die Zitrone, um diese wundervolle Farbe zu erzielen. Sie trugen sie auch auf die Lippen auf, um diese zu röten, und hellten damit ihre Haut auf. Die Zitrone diente als Zahnpasta, Deodorant und Enthaarungswachs.
Während der Renaissance war sie so selten, dass der Preis sie praktisch unerschwinglich werden ließ. Auf Gemälden tauchte sie auf, allerdings nur als edle Zierde. Sie war ein solches Luxusprodukt, dass 1533 anlässlich eines Banketts in der Westminster Hall für Heinrich VIII. und Anne Boleyn eine einzige Zitrone stolz auf dem Tisch thronte, umgeben von weiteren kostspieligen Delikatessen. Selbstgefällig konnte sie die Brust wölben: Sie hatte sechs Silberpence gekostet, für die damalige Zeit ein Vermögen.1 Als äußeres Zeichen für Reichtum in Ländern, in denen sie nicht heimisch war, wurde die Zitrone, voller Eleganz und Graz