: Rita Süssmuth
: Keine Zeit mehr, abzuwarten Das Manifest einer der angesehensten Politikerinnen Deutschlands
: bene! eBook
: 9783963402210
: 1
: CHF 12.00
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 112
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Corona-Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, bei wie vielen Themen Deutschland hinterherhinkt. Rita Süssmuth, Familienministerin und Bundestagspräsidentin a. D., mahnt: Das Zögern muss ein Ende haben, wir müssen jetzt handeln! Dabei nimmt sie in den Blick, welche Entwicklungen die weltweite Pandemie ausgelöst hat - die positiven - wie der selbstlose Einsatz für andere -, aber auch die negativen: Verschwörungstheoretiker, die leugnen, verharmlosen, »Freiheit für alle« fordern und dabei mit den Neuen Rechten in einem Boot sitzen. Oder Politiker, die Schutzmasken beschaffen und dafür »Prämienzahlungen« kassieren. Versprechungen, die gebrochen werden. Und das Gefühl vieler Bürgerinnen und Bürger, mit ihren Anliegen und Sorgen nicht ernst genommen zu werden. Über allem steht die Frage: Worauf können wir uns überhaupt noch verlassen? Was muss in Bezug auf das Bildungswesen, die nötige Agrarwende, die Verkehrspolitik und den Klimawandel dringend getan werden? Wo sind die Grenzen des Wachstums? Sind sie nicht längst überschritten? Wann hat das angefangen, das Maßlose, das Gierige? Welche zentralen Werte und Handlungsanweisungen können und müssen aus dem christlichen Glauben abgeleitet werden? Was ist unsere Verantwortung für die nächste Generation? Und wie werden wir ihr gerecht? Wie können wir, jede*r Einzelne, all den schlimmen Entwicklungen Einhalt gebieten? Das zornig mahnende Buch einer der bekanntesten Politikerinnen Deutschlands. Für eine Zeit, in der guter Rat für unsere Generation vielleicht wichtiger als je zuvor ist.

Rita Süssmuth, Jahrgang 1937, gehört zu den angesehensten deutschen Politikerinnen und ist Mitglied der CDU. Sie war von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit (ab 1986 Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit) und von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages. Mit fast zehn Jahren war ihre Amtszeit die drittlängste in der Geschichte des Bundestages. www.rita-suessmuth.de

1 // Das Selbstvertrauen hat einen Riss bekommen


Die offene Gesellschaft, die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg auf Basis unseres Grundgesetzes erkämpft haben, ist nicht zuletzt durch die Auswirkungen der Pandemie in die Defensive geraten. Viele Freiheiten des Einzelnen mussten zum Teil beschränkt werden, um alle zu schützen – besonders die Alten, Kranken und Schwachen; Erwachsene und Kinder. Persönliche Begegnungen waren plötzlich schwierig, wir konnten Verwandte und Freunde für längere Zeit nicht besuchen.

Kinder mussten zu Hause bleiben. Kindergärten und Schulen waren geschlossen. Läden durften nicht öffnen oder nur eine beschränkte Anzahl an Kunden einlassen. Kulturveranstaltungen waren untersagt, Sportvereine mussten den Betrieb einstellen. So etwas war bis dahin unvorstellbar.

Wir haben gemerkt, wie abhängig wir von einer funktionierenden Weltwirtschaft sind. Zeitweise gab es zu Beginn der Pandemie massive Versorgungsengpässe, wochenlang waren bestimmte Waren nur mit Mühe zu bekommen. Und noch immer leidet der sehnsüchtig erwartete Wirtschaftsaufschwung unter der Tatsache, dass die weltweiten Lieferketten der Industrie nicht richtig funktionieren.

Für viele ist im März2020 das bisherige Weltbild angekratzt worden. Die Jahrzehnte genährte Vorstellung, vieles selbst entscheiden und gestalten zu können, hat einen Riss bekommen. Auf einmal war alles anders. Und wir saßen zu Hause fest.

Unser Gesundheitssystem ist an die Grenze der Belastbarkeit gekommen. Intensivstationen waren zeitweise nahezu komplett belegt, alle nicht zeitkritischen Operationen mussten aufgeschoben werden.

Das Virus hat uns alle herausgefordert. Und die langfristigen sozialen und ökonomischen Folgen sind noch nicht absehbar. »Long Covid« ist ein neues Krankheitsbild. Aber auch sonst werden wir manches, was wir erlebt haben, nicht mehr los. Zeit also, den Blickwinkel auf das Leben zu verändern. Was hat die Corona-Pandemie für Entwicklungen ausgelöst?

 

Viele spüren eine starke Verunsicherung. Es gibt plötzlich ungekannte Existenzängste. Weltweit sind über fünf Millionen Menschen am Covid-19-Virus gestorben. In Deutschland haben wir bis zum Jahresanfang2022 mehr als100000 Tote zu beklagen. Unser sonst so stabiles Land befindet sich im Krisenmodus.

 

Auf der einen Seite sehen wir einen Staat, der zupackt und vieles auch im internationalen Vergleich recht gut zu gestalten versucht. Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gesundheitsämtern und andere, die sich der Verbreitung der Pandemie entgegenstellen und sich um die Erkrankten kümmern: Viele Menschen sind in der Krise über sich selbst hinausgewachsen, haben Unglaubliches geleistet. Freiwillige Helfer übernahmen vielfältige Aufgaben: Für ältere und kranke Menschen wurde eingekauft, vor Pflegeheimen Musik gemacht, jede Menge Geld für Bedürftige gespendet. Viele haben ihren Nachbarn Mut gemacht. Lokale Händler wurden unterstützt. Ich denke an zahlreiche private Initiativen, die sich für andere eingesetzt haben.

Es gab verblüffende Erfolge – beispielsweise die Schnelligkeit, mit der es gelungen ist, durch internationale Zusammenarbeit neue Impfstoffe zu entwickeln. Und wir haben gemerkt, wie rasch Politik handeln kann – aber wir haben auch ein manchmal zögerliches Schwanken zwischen einem erneuten Lockdown und Öffnungen erlebt. Mit all dem ging die Enttäuschung vieler Hoffnungen einher. Die vierte Welle der Pandemie im Herbst2021 war besonders hart.

Zahlreiche bittere Momente und schwere Stunden kommen jedem von uns in den Sinn, wenn wir an die Zeit der Pandemie denken. Aber wir dürfen im Rückblick dankbar dafür sein, dass unserem Land schlimme Situationen wie die in anderen Ländern erspart geblieben sind. Denken Sie nur an die Bilder aus Bergamo, die zeigten, wie Kolonnen von Militärlastwagen Särge mit Corona-Toten abtransportierten.

 

Gleichzeitig gibt es ein bisher unbekanntes Leugnen von Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, ein Verharmlosen von Risiken. Für mich ein bislang in dieser Form für unmöglich gehaltener Eindruck des Irrationalen, der jeden Diskurs einer bürgerlichen, offenen Gesellschaft belastet. Trotzdem gilt die Mahnung von Verfassungsrichtern wie Udo Di Fabio, mit diesen Widerständen entsprechend unserer Rechtsgrundlagen differenziert und sachlich umzugehen.

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