: Thomas Fischer
: Recht haben Vermischtes aus der Welt des Strafrechts | Die besten SPIEGEL-Kolumnen des Ex-Bundesrichters
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426464830
: 1
: CHF 17.00
:
: Gesellschaft
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Streitbar, unterhaltsam, eigensinnig: das deutsche Strafrechtssystem auf dem Prüfstand  Thomas Fischer ist einer der brillantesten und gefürchtetsten Kommentatoren der deutschen Strafrechtssprechung. Seine Fallanalysen, seine Medienkritik und sein messerscharfer Verstand sind legendär. Von 2019 bis Frühjahr 2021 kommentierte er für den SPIEGEL wöchentlich mit riesigem Erfolg das Geschehen in und vor deutschen Gerichtssälen. Immer wieder im Fokus stand dabei der Konflikt zwischen Gesetzestext und der gefühlten Gerechtigkeit der öffentlichen Meinung. Die erfolgreichsten und wichtigsten seiner Kolumnen hat er nun überarbeitet und aktualisiert. In der Gesamtschau geben sie eine streitbare, intelligente und höchst unterhaltsame Antwort auf die Frage aller Fragen: Wer hat Recht? Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer ist einer der profiliertesten Experten der deutschen Strafrechtsdogmatik und -praxis. Ohne Scheuklappen widmet er sich kontroversen Themen, so unter anderem: Strafvollzugssystem, Justizsystem, Strafprozess, Verfassung, Immigration und Sicherheit, Kriminalpolitik und Kriminologie, Strafrechtssystem, Gesellschaft, Rechtskultur, Feminismus, Sexualstrafrecht, Rechtssystem, Rechtsradikalismus, Medien, Rezensionen, Corona-Pandemie Die in diesem Buch neu zusammengestellte Sammlung von Thomas Fischers besten und meistdiskutierten SPIEGEL-Kolumnen ist nichts weniger als ein Gesellschaftsporträt durch die Linse des Strafrechts und des Rechtssystems, verfasst von einem der intelligentesten Kommentatoren bundesrepublikanischer Gegenwart.   »Seine Kolumnen vermitteln Sachkunde, Offenheit und tiefe Menschlichkeit. Wer Thomas  Fischer liest, lernt das Rechtssystem lieben«. Stefan Kuzmany, SPIEGEL

Thomas Fischer, Jahrgang 1953, war bis April 2017 Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sein jährlicher Kommentar zum Strafgesetzbuch, die Beck?schen Kurzkommentare, gilt als die Bibel des Strafrechts. Mit seinen Kolumnen für ZEIT-ONLINE und den SPIEGEL wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, zudem ist er Teil des SWR 2-Podcasts 'Sprechen wir über Mord?!'. Bei Droemer erschienen bisher seine Bücher Über das Strafen, Sex and Crime und Im Recht.

Vollrausch, Tötung,Geldstrafe


(28.10.2019)

Das Urteil


Ein Urteil des Amtsgerichts – Jugendgericht – Würzburg vom23. Oktober2019 hat für großes Aufsehen, Empörung und erstaunliche Schlagzeilen gesorgt. Das Gericht verurteilte einen20-jährigen Heranwachsenden wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Geldstrafe, deren Summe5000 Euro beträgt. Wie viele Tagessätze ihr zugrunde liegen, wurde wie üblich nicht berichtet, obwohl es nur darauf ankommt. Für jemanden, der30000 Euro netto im Monat verdient, wären es fünf Tagessätze, für jemanden, der415 Euro im Monat netto übrig hat,360 Tagessätze. Den Unterschied merkt man, wenn man nicht zahlt: Dann müsste der Erste fünf Tage ins Gefängnis, der Zweite ein Jahr. In der Presse wird regelmäßig nur das Produkt aus Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe (= Monatseinkommen durch30) mitgeteilt, obwohl das sinnlos ist.

Dem Urteil lag eine Tat vom23. April2017 zugrunde. Der Angeklagte, damals18 Jahre alt und Fahranfänger, fuhr nachts auf einer Nebenstraße mit seinem Auto nach Hause. Er hatte eine Blutalkoholkonzentration von fast2,9 Promille; drei weitere junge Männer, ebenfalls alkoholisiert, saßen mit ihm im Auto. Aufgrund seiner Alkoholisierung übersah der Angeklagte zwei am Straßenrand gehende Fußgänger und fuhr eine20-jährige junge Frau an. Sie starb wenige Tage später an ihren schweren Verletzungen.

DieBild nennt das Opfer »totgeraste Teresia«, lässt also dem Leser schon im Ansatz das übliche »Feeling« zukommen, indem Empathie und Nähe vorgetäuscht wird. Das Opfer wird beim Vornamen genannt, als ob dieBild-Leser ein Recht darauf hätten, sich der jungen Frau aufzudrängen. Die Tat heißt »Totrasen«, obwohl es für das Ereignis ganz unerheblich ist, ob der Täter »gerast« oder langsam gefahren ist. Das entspricht dem üblichen populären Umgang mit den Gefahren des Straßenverkehrs: Wer schnell fährt und Glück hat, fährt »sportlich«, wer schnell fährt und Pech hat, heißt »Raser«. Die »Raser« gehören weggesperrt; aber das sind immer nur die anderen.

Die Überschrift desBild-Artikels vom23. Oktober lautete übrigens: »Wer soll dieses Urteil verstehen?« Wer den Artikel liest, der hier nur stellvertretend für viele andere genannt ist, »versteht« das Urteil auf gar keinen Fall; daran ändert auch der »Verkehrsexperte« nichts, denBild bemüht. Dem Leser werden hier wie anderswo schon die einfachsten Grundlagen der Rechtsfragen entweder verschwiegen oder so verdreht mitgeteilt, dass der Informationsgehalt sich auf bloße Anstachelung von Empörung beschränkt. An diesem Schmierentheater hatte, wie es zu befürchten gilt, das Gericht jedenfalls insoweit einen Anteil, als es sich mit den merkwürdigsten Äußerungen zur mündlichen Urteilsbegründung zitieren lässt:

Bild: »Die überraschende Erkenntnis von Richter Krieger: ›Wir hätten gern eine Jugendstrafe verhängt.‹ Aber das sei nicht möglich gewesen, da der Angeklagte schuldunfähig sei – wegen des hohen Promillewerts. Im Klartext: Niclas H. ist frei, weil er total besoffen war!«

Oder so:Focus: »Richter kann Vater von Teresa (†20) kaum ansehen. Richter Krieger: ›Es fällt mir schwer, Ihnen in die Augen zu gucken.‹«

Oder beimBayerischen Rundfunk: »Richter: ›Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Aber das Volk muss schon ein paar Semester Jura studieren, um das zu verstehen, was ich heute geurteilt habe.‹«

Gehen wir einmal davon aus, dass der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts (»Wir«) genügend lange studiert hat, um zu verstehen, was er (oder sagen wir, unter Erinnerung an das Beratungsgehei