Vollrausch, Tötung,Geldstrafe
(28.10.2019)
Das Urteil
Ein Urteil des Amtsgerichts – Jugendgericht – Würzburg vom23. Oktober2019 hat für großes Aufsehen, Empörung und erstaunliche Schlagzeilen gesorgt. Das Gericht verurteilte einen20-jährigen Heranwachsenden wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Geldstrafe, deren Summe5000 Euro beträgt. Wie viele Tagessätze ihr zugrunde liegen, wurde wie üblich nicht berichtet, obwohl es nur darauf ankommt. Für jemanden, der30000 Euro netto im Monat verdient, wären es fünf Tagessätze, für jemanden, der415 Euro im Monat netto übrig hat,360 Tagessätze. Den Unterschied merkt man, wenn man nicht zahlt: Dann müsste der Erste fünf Tage ins Gefängnis, der Zweite ein Jahr. In der Presse wird regelmäßig nur das Produkt aus Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe (= Monatseinkommen durch30) mitgeteilt, obwohl das sinnlos ist.
Dem Urteil lag eine Tat vom23. April2017 zugrunde. Der Angeklagte, damals18 Jahre alt und Fahranfänger, fuhr nachts auf einer Nebenstraße mit seinem Auto nach Hause. Er hatte eine Blutalkoholkonzentration von fast2,9 Promille; drei weitere junge Männer, ebenfalls alkoholisiert, saßen mit ihm im Auto. Aufgrund seiner Alkoholisierung übersah der Angeklagte zwei am Straßenrand gehende Fußgänger und fuhr eine20-jährige junge Frau an. Sie starb wenige Tage später an ihren schweren Verletzungen.
DieBild nennt das Opfer »totgeraste Teresia«, lässt also dem Leser schon im Ansatz das übliche »Feeling« zukommen, indem Empathie und Nähe vorgetäuscht wird. Das Opfer wird beim Vornamen genannt, als ob dieBild-Leser ein Recht darauf hätten, sich der jungen Frau aufzudrängen. Die Tat heißt »Totrasen«, obwohl es für das Ereignis ganz unerheblich ist, ob der Täter »gerast« oder langsam gefahren ist. Das entspricht dem üblichen populären Umgang mit den Gefahren des Straßenverkehrs: Wer schnell fährt und Glück hat, fährt »sportlich«, wer schnell fährt und Pech hat, heißt »Raser«. Die »Raser« gehören weggesperrt; aber das sind immer nur die anderen.
Die Überschrift desBild-Artikels vom23. Oktober lautete übrigens: »Wer soll dieses Urteil verstehen?« Wer den Artikel liest, der hier nur stellvertretend für viele andere genannt ist, »versteht« das Urteil auf gar keinen Fall; daran ändert auch der »Verkehrsexperte« nichts, denBild bemüht. Dem Leser werden hier wie anderswo schon die einfachsten Grundlagen der Rechtsfragen entweder verschwiegen oder so verdreht mitgeteilt, dass der Informationsgehalt sich auf bloße Anstachelung von Empörung beschränkt. An diesem Schmierentheater hatte, wie es zu befürchten gilt, das Gericht jedenfalls insoweit einen Anteil, als es sich mit den merkwürdigsten Äußerungen zur mündlichen Urteilsbegründung zitieren lässt:
Bild: »Die überraschende Erkenntnis von Richter Krieger: ›Wir hätten gern eine Jugendstrafe verhängt.‹ Aber das sei nicht möglich gewesen, da der Angeklagte schuldunfähig sei – wegen des hohen Promillewerts. Im Klartext: Niclas H. ist frei, weil er total besoffen war!«
Oder so:Focus: »Richter kann Vater von Teresa (†20) kaum ansehen. Richter Krieger: ›Es fällt mir schwer, Ihnen in die Augen zu gucken.‹«
Oder beimBayerischen Rundfunk: »Richter: ›Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. Aber das Volk muss schon ein paar Semester Jura studieren, um das zu verstehen, was ich heute geurteilt habe.‹«
Gehen wir einmal davon aus, dass der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts (»Wir«) genügend lange studiert hat, um zu verstehen, was er (oder sagen wir, unter Erinnerung an das Beratungsgehei