Kapitel 1
Es war seltsam still in der Penthouse-Wohnung. Carstens Laufschuhe lagen zusammen mit seinen handgefertigten Budapestern wie einfach hingeworfen auf dem Parkett. Einer der Lederschuhe war zur Seite gekippt und klemmte unter der Kommode. Was mindestens so ungewöhnlich war wie die Stille, denn diese Schuhe kosteten so viel wie ein Kurztrip nach Venedig, und eigentlich verwahrte Carsten sie einzeln, in maßgeschneiderten Leinenbeuteln.
Ich zog die Wohnungstür hinter mir ins Schloss und ließ langsam den Riemen meiner Tasche von der Schulter gleiten. Das schwere Ding fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden. Mein Herz schlug hektisch, als wäre ich selbst gerade joggen gewesen. Aber ich ging nie joggen.
Ich stand einfach da und lauschte der Stille in der Wohnung und dem Hämmern in meinem Brustkorb. Carsten war da, klar erkennbar an dem sonderbaren Schuhkunstwerk. Aber wenn er zu Hause war, lief eigentlich immer Musik. Meistens Jazz, oft Klassik, aber es war nie, wirklich nie, still. Mit Stille kam Carsten nicht so gut zurecht.
Mir war ein wenig schwindelig, und ich legte die flache Hand an die Wand, um mich abzustützen.
Heute Morgen war ich noch, leise vor mich hin pfeifend, an dieser weißgestrichenen Flurwand vorbeigetanzt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Heute hätte nämlich ein großartiger Tag werden sollen. Der Tag, an dem endlich mein absolutes Lieblingsprojekt starten sollte, auf das ich wochenlang hingearbeitet hatte.
Gesichter unserer Stadt – so hieß die großangelegte Werbekampagne für eine örtliche Versicherung, mit einem nicht unerheblichen Budget und einer ganz klaren künstlerischen Gewichtung. Es hatte mehr sein sollen als einfach eine durchschnittliche Werbekampagne, man wollte es sich etwas kosten lassen, ausgewählte Einwohner Hannovers porträtieren und somit die tiefe Verbundenheit zur Region zeigen.
Für mich war es der erste wichtige Auftrag nach langer Zeit. Corona hatte mich sämtliche Projekte gekostet. Danach war die ganze Fotobranche zwar wieder angelaufen, aber die großen Jobs waren an mir vorbeigezogen. Selbst die Wochenzeitungen, die hin und wieder mal einen Auftrag vergeben hatten, ließen ihre Fotos jetzt von ihren Praktikanten mit dem iPhone machen. Dieses Werbeprojekt hatte mir endlich wieder ein neues Ziel gegeben, auf das ich hatte hinarbeiten können. Abgesehen davon liebte ich es, Menschen zu porträtieren.
Vorsichtig nahm ich die Hand wieder von der Wand und blinzelte ein paarmal.
Ich würde allen absagen müssen. All den Menschen, die ich als Zugpferde für diese Kampagne hatte haben wollen. Ich hatte schon Kontakt mit ihnen aufgenommen, ein Vorgespräch geführt, sie überzeugt mitzumachen, was gar nicht so einfach gewesen war. Schon der Gedanke an diese Telefonate machte mich unendlich müde.
Der muffelige örtliche Friedhofsgärtner, die redselige Gemüsefrau vom Markt, die eloquente Boutique-Verkäuferin aus der Innenstadt mit einem abgeschlossenen Psychologie-Studium in der Tasche, die ihre fachlichen Kenntnisse jetzt nutzte, um Menschen bei der Auswahl ihrer Garderobe zu helfen, und ihren Job liebte.
Ich zog die Nase hoch, was laut und unschön klang, und blickte auf meine Fü