Prolog
November
»Ich kann nicht mehr.«
Merry öffnete den Mund, um ihm unter die Nase zu reiben, dass sie ihm gesagt hatte, er solle vor dem Hauptgang nicht so viel Brot essen, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. Er redete nicht von den Spaghetti Carbonara, die er appetitlos auf seinem Teller hin und her schob; es ging um etwas Größeres. Etwas Ernsteres.
»Alex?«, fragte sie vorsichtig, als er weiter die langsam zu einer festen Masse gerinnenden Nudeln vor sich anstarrte. »Was ist los? Was kannst du nicht mehr?«
Er sah auf und fixierte sie für den Bruchteil einer Sekunde aus seinen blassblauen Augen, bevor er seinen Blick wie ein erschrockenes Kaninchen durch das Restaurant huschen ließ. »Das hier«, stieß er nach einigen Sekunden abrupt aus. »Uns.«
Merry wurde von einer heißen, prickelnden Welle der Panik ergriffen. »Uns?«, wiederholte sie tonlos. Ihre Kehle war auf einmal staubtrocken. »Wovon redest du?«
»Von dir und mir. Unserer Beziehung.« Er holte tief Luft. »Ich kann einfach nicht mehr so tun als ob.«
Die Hitze wich eisiger Kälte. Als wenn aus dem Nirgendwo plötzlich ein arktischer Wind eine Böe durch den Raum geschickt hätte. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie, während Taubheit von ihrem Körper Besitz ergriff. »Was meinst du mit ›so tun als ob‹?«
Während der folgenden Stille sah Alex Merry nicht an. »So tun, als ob ich dich liebe«, sagte er schließlich.
Auf einmal schien sich kein Sauerstoff mehr in Merrys Lunge zu befinden. Als hätte sie eine Faust in den Magen getroffen, entwich ihr auf einen Schlag alle Luft. Sie musste sich verhört haben – immerhin war das hier Alex. Ihr Freund, mit dem sie mehr als die Hälfte ihres bisherigen Lebens verbracht hatte. Der sie anbetete, der sie eine Göttin genannt und ihr versprochen hatte, niemals von ihrer Seite zu weichen. Ihr Seelenverwandter. Natürlich liebte er sie, entschied Merry mit einem ungläubigen Kopfschütteln, genauso sehr wie sie ihn.
Sie holte zittrig Atem, sich des krächzenden Keuchens, das sie dabei ausstieß, nur am Rande bewusst, und versuchte, ihre wirren Gedanken zu sammeln, um eine Antwort zu formulieren.
»Ich habe diese Gefühle unterdrückt«, fuhr Alex in seltsam distanziertem Ton fort. »Aber ich kann das nicht mehr. Es tut mir leid.«
Es war die Lustlosigkeit, mit der er den letzten Satz aussprach, die sie brach. Als ob er gerade ihren Lieblingskaffeebecher und nicht ihr Herz zerschmettert hätte.
Ihre Augen schwammen in Tränen. »Es tut dirleid?«
Die Worte kamen ihr lauter und heftiger über die Lippen als beabsichtigt.
Alarmiert zog er die Augenbrauen zusammen. »Nicht weinen«, murmelte er, als eine Frau am Nebentisch einen verstohlenen Blick zu ihnen hinüberwarf. »Um Himmels willen, Merry, du musst doch geahnt haben, dass so etwas kommt. Mach jetzt bloß keine Szene.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Seine Züge verschwammen vor ihren feuchten Augen, aus denen jeden Moment Tränenbäche ihre Wangen hinabzulaufen drohten.Nicht weinen – hatte er das gerade wirklich zu ihr gesagt? Nachdem er all ihre Hoffnungen und Träume für die Zukunft mal eben zerstört hatte, als ob es sich dabei nur um Kleinigkeiten handelte?
Blinzelnd versuchte sie den dicken Klumpen, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte, herunterzuschlucken. »Woher hätte ich das wissen sollen?«, brachte sie mit einem heiseren Halbflüstern heraus. »Wir sind z