ZWEI:
ONLY BAD NEWS IS GOOD NEWS? VON WEGEN!
Wie wird eine Nachricht zur Nachricht? Was entscheidet darüber, ob uns ein Ereignisberichtenswert erscheint oder nicht? Gehen wir alle nach demselben Prinzip vor wie meine Oma? Dass nur das Außergewöhnliche, das Drastische, das Schlimme überhaupt »der Rede wert« ist?
Wenn wir den Einfluss, den Nachrichten auf uns haben, verstehen wollen, müssen wir erst einmal verstehen, was Nachrichten sind – auch wenn uns das im ersten Moment vielleicht absurd vorkommt. Wir wissen doch, was Nachrichten sind! Wir haben sie ja ständig um uns. Natürlich wissen wir alle, was eine Nachricht ist. Doch gerade bei Dingen, die wir zu kennen glauben, übersehen wir oft die entscheidenden Details. Schauen wir also einmal genauer hin.
Nachrichten sind eine Auswahl von Ereignissen, die in einem bestimmten Zeitraum – einem Tag, einer Woche, einem Monat – passiert sind. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Nachrichten niemals vollständig sind. Egal, wie viel von ihnen wir konsumieren: Sie zeigen nicht alles, was in der Welt passiert. Sie zeigen manches. Eben: eine Auswahl.
Und zwar nicht irgendeine. Nachrichten sind eine Auswahl von Ereignissen, die den jeweiligen Journalist*innen berichtenswert erscheinen. Nach welchen Kriterien wird diese Auswahl getroffen? Wie erkennen Journalist*innen, ob ein Ereignis berichtenswert ist oder nicht? Nach welchen Maßstäben entscheiden sie?
In vielen Fällen nach den sogenanntenNachrichtenfaktoren: Wie viele Leute sind von einem Ereignis betroffen? Sind berühmte Personen beteiligt? Ist das Ereignis ungewöhnlich, vielleicht sogar noch nie da gewesen? Wie weit ist das Ereignis geografisch und kulturell entfernt? Inwieweit betrifft es die Menschen des Landes, in dem berichtet wird? Wie konfliktgeladen ist das Ereignis? Welchen Schaden verursacht es?
Benannt wurden die Nachrichtenfaktoren zum ersten Mal vor hundert Jahren. Walter Lippmann, einUS-amerikanischer Journalist und Schriftsteller, der unter anderem dafür bekannt ist, den Begriff des »Kalten Krieges« geprägt zu haben, veröffentlichte 1922 das BuchThe Public Opinion. Darin beschreibt er, wie deutlich die öffentliche Meinung durch Medienberichte geprägt wird. Im KapitelThe Nature of the News spricht er von zehn Nachrichtenfaktoren, anhand derer Journalist*innen entscheiden, ob sie über ein Ereignis berichten oder nicht.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Nachrichtenfaktoren von verschiedenen Forscher*innen definiert, die sie jeweils etwas abgewandelt haben. Manche fassen mehrere Faktoren zusammen, andere führen sie einzeln auf. Beim einen wird Sex als eigener Faktor genannt, beim anderen Kriminalität. Grundsätzlich geändert haben sich die Faktoren in den letzten hundert Jahren jedoch nicht. Berichtet wird, was in der Nähe passiert, was ungewöhnlich ist, konfliktreich, berühmte Personen betrifft oder weitreichende Konsequenzen hat.
Jede*r, der oder die als Journalist*in arbeitet, ist den Nachrichtenfaktoren schon einmal begegnet. Sie werden an Universitäten, Volontariatskursen und Journalist*innenschulen unterrichtet, als Anleitung dafür, wie Journalist*innen aus den vielen Dingen, die Tag für Tag auf der Welt passieren, das »Wichtigste