: Klaus-Rüdiger Mai
: Edith Stein - Geschichte einer Ankunft Leben und Denken der Philosophin, Märtyrerin und Heiligen
: Kösel
: 9783641275556
: 1
: CHF 14.80
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 352
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zum 80. Todestag: Die Biografie einer außergewöhnlichen Frau
Der Historiker Klaus-Rüdiger Mai nähert sich dem Facettenreichtum der zu Unrecht im Schatten ihrer männlichen Zeitgenossen stehenden Edith Stein. Bewusst schreibt er keine Hagiografie, sondern erzählt mitreißend den Roman des Lebens dieser außergewöhnlichen Frau - dem Wildfang der Moderne.

Am 9.8.2022 jährt sich der Todestag von Edith Stein zum achtzigsten Mal. Edith Stein starb als geborene Jüdin und konvertierte Christin im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Für ihren unermüdlichen Einsatz, Juden- und Christentum zu versöhnen, wurde sie als Teresia Benedicta vom Kreuz 1987 selig- und 1998 heiliggesprochen.

Edith Stein war jedoch nicht nur Ordensfrau, sondern Intellektuelle. Sie studierte Philosophie, Geschichte, Germanistik und Psychologie in Göttingen und Freiburg, promovierte bei Edmund Husserl und trug - unter anderem als dessen Assistentin - maßgeblich zur modernen Philosophiegeschichte bei. Gleichwohl wurde ihr die Habilitation gleich vier Mal verweigert. Ihre Habilitationsschrift, in der sie sich auf brillante Weise mit Thomas von Aquin, Husserl und Martin Heidegger auseinandersetzt, konnte erst post mortem nach dem Krieg veröffentlicht werden. Ihre Suche nach dem Sinn des Seins, ihr starker Wille, ihr Engagement für Philosophie und Frauenrechte können uns heute als Blaupause dienen, den eigenen Weg, trotz enormer Widerstände, weiter zu verfolgen.

Klaus-Rüdiger Mai, Dr. phil., geb. 1963, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Er verfasst historische Romane, Sachbu?cher, Biografien und Essays. Nach einer Geschichte des Vatikans, der Biografie von Papst Benedikt XVI., Martin Luther, Albrecht Du?rer, Johannes Gutenberg und Leonardo da Vinci, wandte sich Mai nun Edith Stein zu.

1.

»Bei ›Fräulein Stein‹ muss ich mir
überlegen, was das für ein Ding ist.«

»Je länger dieser Sommer 1933 dauerte, umso unwirklicher wurde alles. Die Dinge verloren mehr und mehr ihr volles Gewicht, verwandelten sich in skurrile Träume…«1, schrieb Sebastian Haffner 1938 im Rückblick. Es war der Sommer, in dem Edith Stein, sechzehn Jahre älter als Haffner, aber nicht weniger preußisch als er, das letzte Mal ihre Heimat und ihre Mutter besuchte. Aus Sicht Edith Steins war es vor allem ihr letzter Sommer als Edith Stein. Es ist das Jahr, in dem sich das Schicksal Deutschlands, aber auch Edith Steins Bestimmung entscheiden sollte.

Ein halbes Jahr zuvor hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die große Transformation, die von den Nationalsozialisten angestrebt wurde, nannten sie pompös nationale oder nationalsozialistische Revolution. Doch das falsche Pathos und der Begriffsbombast übertönte nur die Zerstörung der Kultur, erwies sich bei näherem Hinhören nur als Tosen der Wellen des Irrationalismus, wie sie von Zeit zu Zeit in der Geschichte die menschliche Vernunft unter sich begraben. Diese tiefgreifenden, radikalen Veränderungen zwangen auch Edith Stein, Lebensentscheidungen zu treffen. Was sich vor ihren Augen ereignete, war kein schlichter Regierungswechsel, sondern der 1918 eingeleitete und sich nun vollziehende Zusammenbruch der Kultur und der Gesellschaft in Deutschland.

Durch das Ermächtigungsgesetz, dem auch das katholische Zentrum zustimmte, wurde Hitler zu einem scheindemokratischen Diktator, die Schlägerbanden derSA zur Hilfspolizei gemacht, der Terror gegen Andersdenkende eröffnet und die Juden diskriminiert und an Leib und Leben bedroht. Deutschland versank in einem Paroxysmus des Hasses. Am 1. April 1933 organisierten die Nationalsozialisten den ersten Boykott jüdischer Geschäfte, wenig später wurde Unrecht unter dem demagogischen Titel »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« kodifiziert, das unter anderem vorschrieb, jüdische Beamte, sofern sie nicht Kriegsteilnehmer waren, in den sofortigen Ruhestand zu versetzten. Als Edith Steins erster Philosophielehrer, Richard Hönigswald, inzwischen weithin geschätzter Ordinarius in München, aufgrund dieses Gesetzes, wie es euphemistisch hieß, in »den Ruhestand versetzt« werden sollte, protestieren seine Kollegen der Philosophischen Fakultät I, außerdem 13 ordentliche Professoren verschiedener Universitäten, zudem zwei italienische Gelehrte, deren einer der ehemalige faschistische Erziehungsminister Italiens Giovanni Gentile war. Erst drei Negativgutachten, eines von ihnen wurde von Martin Heidegger verfasst, gaben der verunsicherten bayerischen Staatsregierung die Grundlage zur Abberufung Hönigswalds. Heidegger, der Edith Stein in der Assistenz Husserls 1918 nachgefolgt war, denunzierte den Kollegen: »Hönigswald kommt aus der Schule des Neukantianismus, der eine Philosophie vertreten hat, die dem Liberalismus auf den Leib zugeschnitten ist. Das Wesen des Menschen wurde da aufgelöst in ein freischwebendes Bewusstsein überhaupt und dieses schliesslich verdünnt zu einer allgemein logischen Weltvernunft. Auf diesem Weg wurde unter scheinbar streng wissenschaftlicher philosophischer Begründung der Blick abgelenkt vom Menschen in seiner geschichtlichen Verwurzelung und in seiner volkhaften Überlieferung seiner Herkunft aus Boden und Blut … Es kommt aber hinzu, dass nun gerade Hönigswald die Gedanken des Neukantianismus mit einem besonders gefährlichen Scharfsinn und einer leerlaufenden Dialektik verficht. Die Gefahr besteht vor allem darin, dass dieses Treiben den Eindruck höchster Sachlichkeit und strenger Wissenschaftlichkeit erweckt und bereits viele junge Menschen getäuscht und irregeführt hat. Ich muss auch heute noch die Berufung dieses Mannes an die Universität München als einen Skandal bezeichnen, der nur darin seine Erklärung findet, dass das katholische System solche Leute, die scheinbar weltanschaulich indifferent sind, mit Vorliebe bevorzugt, weil sie gegenüber den eigenen Bestrebungen ungefährlich und in der bekannten Weise ›objektiv-libera