: Yosano Akiko
: Männer und Frauen Essays - Deutsche Erstausgabe
: Manesse
: 9783641272814
: 1
: CHF 15.00
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Entdeckung: Die große japanische Dichterin und Vorkämpferin für Frauenrechte erstmals überhaupt auf Deutsch!
Warum hält sich das Vorurteil des substanziellen Geschlechterunterschieds derart hartnäckig? Woran liegt es, dass Frauen in der Gesellschaft immer noch chronisch unterschätzt und benachteiligt werden? Und wie kriegen wir endlich veraltete Rollenbilder aus den Köpfen? - Diese eminent wichtigen Fragen stellte Yosano Akiko vor hundert Jahren mit unverhohlener Klarheit - und gab Antworten, die noch heute ins Schwarze treffen.

Stichhaltig und luzide plädiert die japanische Frauenrechtlerin für die überfälligste Sache der Welt: für die Gleichstellung der Geschlechter. Ihre Essays tragen programmatische Titel wie 'Männer und Frauen' ('Otoko to onna', 1915), 'Die essentielle Gleichheit von Mann und Frau' (1916), 'Frauen und politische Aktivitäten' (1915) oder 'Die japanische Politik aus der Perspektive der Frauen betrachtet' (1917). Daneben erfährt man in diesem Band Essentielles zum literarischen Selbstverständnis der Dichterin Yosano Akiko und bekommt in 'Aufzeichnungen aus dem Wochenbett' (1911) intime Einblicke ins Privatleben der dreizehnfachen Mutter. Den Abschluss machen zwei Fundstücke. 'Aus der Grippe-Station' (1918) und 'Angst vor dem Tod' (1920) schildern Pandemieerfahrungen während der Spanischen Grippe, die vor hundert Jahren auch in Japan wütete.

Yosano Akiko (1878-1942, eigentlich H? Sh?) stammte aus einer Kaufmannsfamilie aus Sakai nahe Osaka, führte bereits mit elf Jahren die Geschäfte der Familie und begann früh, Kurzgedichte zu schreiben. 1901 erschien ihr erster, viel beachteter Tanka-BandMidaregami (Wirres Haar). 1905 sorgte ein an ihren Bruder gerichtetes Antikriegsgedicht für Aufsehen. Sie machte sich nicht nur als moderne, eigenständige Stimme der japanischen Literatur einen Namen, sondern tat sich in Essays als couragierte Demokratin und Vorkämpferin für Frauenrechte hervor.

Aufzeichnungen aus dem Wochenbett

Ich liege noch immer im Entbindungszimmer des Krankenhauses Gegen Abend wird hier drinnen der Gasofen angefacht. Doch solange die Sonne scheint, ist es warm. Denn ein schöner Tag folgt auf den anderen. Zudem ist dieses Zimmer nach Süden ausgerichtet und die Veranda mit Glasschiebetüren abgeschlossen, sodass man sich nicht vor dem Wind in Acht nehmen muss, selbst wenn die mit Papier bespannten Shōji-Schiebefester teilweise offen stehen. Zwar blenden einen die Sonnenstrahlen, aber die Krankenschwester stellt dann jeweils einen kleinen Faltschirm schräg gegen die Shōji. Auf den noch neuen, duftenden Tatami steht auf einem Tischchen eine Glasvase mit Schnittblumen aus den Gewächshäusern des Botanischen Gartens Myōkaen, und etwa zehn Zeitschriften, die jüngsten Ausgaben dieses Monats, sind nebeneinander aufgereiht. Sonst liegt überhaupt nichts herum. Ein wohlgeordnetes, sauberes und ruhiges Zimmer!

Die Pflegerin hält sich im Nebenzimmer auf. Da gibt es offenbar ein Kohlenbecken, Teeutensilien, einen Handtuchständer, Wandschränke für allerhand Gerätschaften des täglichen Gebrauchs sowie einen Behälter für das Essgeschirr. Alle Besucher legen dort ihre Hüte, Überwürfe und Mäntel ab. Wenn sie vor mir erscheinen, haben sie sämtliche derartigen Hüllen zurückgelassen. Nur wenige treten in prächtiger, formeller Tracht auf, in Haori und Hakama. Die übrigen tragen Alltagsgewänder und kommen herein, ohne sich irgendwie in Szene zu setzen. Auch vermeiden sie langatmige Besucherfloskeln. Meist sagen sie nur so etwas wie: «Okusan – gnädige Frau, wie geht’s?» und beginnen gleich mit Geschichten um das kaiserliche Theater oder lassen sich über neu erschienene Romane und dergleichen aus – um sich bald darauf wieder zu verabschieden. Die offenherzige, warme Vertraulichkeit und Freundschaft dieser Menschen, die sich nicht um Formalitäten kümmern, bereiten mir große Freude.

Das sind alles Leute, die ihr Leben nicht einfach nur in einem eng begrenzten Bekanntenkreis zubringen. Und es sind auch keine Leute, die sich in einer Zeit wie der unseren, da man allein von der Kunst leben kann, bequem eingerichtet haben. Kaum haben sie sich wieder ins Nebenzimmer zurückgezogen, setzen sie sich Studentenhüte auf, andere schlüpfen in Mäntel mit Fischotterpelzkragen, und wieder andere klemmen sich ein Bündel mit Notizen für ihre Anwaltsprüfung unter den Arm und machen sich so auf den Heimweg. Sie treten aus dem Tor dieses Krankenhauses und mischen sich unter die Menge gewöhnlicher Leute. Ich kann sie in meiner Lage zwar nicht draußen verabschieden, aber ich kann mir im Großen und Ganzen vorstellen, mit welcher Verhüllung gewappnet ein jeder meiner Freunde aus dem Tor hinaustritt und sein gesellschaftlich «maskiertes» Leben fortsetzt. Da es Leute sind, die sich nicht für die Armee eignen, werden sie vom Vaterland wohl nicht überaus hoch eingeschätzt. Wenn mir solches durch den Kopf geht, muss ich unwillkürlich lächeln.

Vor dem Nebenzimmer zieht sich der Korridor hin – ein langer Korridor von vierundzwanzig oder fünfundzwanzigken1 der sich vom Eingang bis hierhin zwei-, dreimal um Ecken windet und zu Krankenzimmern führt, die ans hügelige Gelände angepasst errichtet wurden. Das heißt, es geht überdies zwei-, dreimal steil hinauf und hinunter. Alle Personen, die ihn passieren, bemühen sich, ihre Haussandalen behutsam aufzusetzen. Denn dieser Ort hat eine Abneigung gegen alles, was tönt. Mancherorts kleben Zettel mit der Aufschrift: «Bitte leise auftreten!» Und vor gewissen Krankenzimmern soll sogar in hartem sinojapanischem Stil zu lesen sein: «In Anbetracht schwerkranker Patienten gebe man ganz besonders acht, jegliches laute Auftreten zu vermeiden!»

Ich allerdings, die ich in meinem Zimmer darniederliege, lechze geradezu – mehr als nach etwas anderem – nach solchen besonders verabscheuten «Tönen». Das Weltall wie das menschliche Leben, alles setzt sich objektiv gesehen aus einer komplexen Anhäufung von Linien, Farben und Lauten zusammen. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass alle Menschen, die sich mit Wissenschaft und Kunst befassen, diese komplexe, sowohl zartgliedrige als auch erhabene Harmonie von Linien, Farb