: Santiago Lorenzo
: Wir alle sind Widerlinge Roman
: Heyne Verlag
: 9783641272555
: 1
: CHF 3.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die literarische Sensation aus Spanien - über 250.000 verkaufte Exemplare

Premio Cálamo 2019

Preis der unabhängigen Verlage 2019

Navarre-Verlagspreis 2019

Das beste Buch des Jahres 2018 (El Periódico)

Das beste Buch des Jahres 2018 (El País)

26 Wochen auf der Bestsellerliste der „La Vanguardia“

23 Wochen auf der Bestsellerliste der „El Periódico“

17 Wochen auf der Bestsellerliste der „ABC“

14 Wochen auf der Bestsellerliste der „El Mundo“

Aus Notwehr verletzt Manuel einen Polizisten und taucht in einem verlassenen Dorf in der Nähe von Madrid unter. Dort lebt er zurückgezogen und gibt sich mit dem Wenigsten zufrieden. Handwerklich begabt und voller Ideen richtet er sich in seinem Zufluchtsort ein. Genügsamkeit und Zeit sind sein Kapital, Einsamkeit und Kargheit werden seine Gefährten. Manuel findet das Glück. Bis Menschen aus der Stadt das Haus nebenan beziehen. Die Ruhe ist dahin. Es wird gelärmt und gefeiert, und Manuel beschließt, seine Freiheit zu verteidigen. Sprachlich elegant, ausdrucksstark und genau - ein kurzweiliger Roman, der nachdenklich stimmt und lange nachhallt.

  • »Santiago Lorenzo ist ein Solitär. Kurt Vonnegut hätte großen Gefallen an ihm gefunden.« (El País, Carlos Zanón)


Santi go Lorenzo, 1964 in Portugalete, Vizcaya, geboren, lebt in einem Dorf nahe Segovia, nördlich von Madrid. Er hat eine Reihe von Filmen produziert (1995 erhielt er einen Goya für den besten Kurzfilm) und sich dann auf das Schreiben von Romanen konzentriert. »Wir alle sind Widerlinge« erschien in Spanien 2018 und wurde dort ein großer Bestseller.

KAPITEL 3

Es geschah an einem Freitag, seinem zweiten als mündiger Bürger. Manuel machte sich bereit, um seinen Wohnkarton zu verlassen. Er war schon eine Weile auf der Suche nach einem Geschäft, in dem er sich eine traditionelle Churros-Presse mit sternförmiger Spritzdüse, Kolben und Griffen an beiden Seiten kaufen konnte. Endlich hatte er auf dem Paseo de Delicias eine Eisenwarenhandlung gefunden, die das gesuchte Utensil anbot. Dort wollte er hin.

Es sah nach Niederschlag aus, und sommerliche Wolkenbrüche in Madrid waren selten sanft. Er griff nach seinem Drei-Euro-Regenschirm, um nicht weitere drei ausgeben zu müssen, wenn es schließlich platzregnete. Dann verließ er sein Kabuff. Er lief, wie er es gewöhnlich tat, die Treppe hinunter und kam in die Eingangshalle.

Draußen war es lauter als üblich, angespannter. Er öffnete die Holztür einen Spaltbreit, um herauszufinden, was sich dort zusammenbraute, und sah hastende Massen, die wie um die Wette in Richtung Sol rannten. Die Überreste einer Demonstration, die sich in einer Phase der Auflösung durch die Polizeikräfte auseinanderdehnte und zusammenzog. Der Protest verlängerte sich durch Störungen der öffentlichen Ordnung – wie immer eigentlich, seitdem man sich auf Behördenseite vorgenommen hatte, Ordnung in diese Art von Zusammenkünften zu bringen.

Plötzlich kam ihm die Tür entgegen und traf ihn an der Augenbraue. Ein massiger Typ um die dreißig hatte von draußen dagegen geschlagen. Und sie dann kräftig mit der Schulter aufgedrückt. Er stürzte in die Eingangshalle und riss dabei den Mieter mit sich. Der Mann war in Zivil, trug einen ausziehbaren Schlagstock in der rechten Hand und um seinen Hals eine Kette mit einer Marke der Bereitschaftspolizei. Falls er seinen Dienst in geheimer Mission angetreten hatte, war ihm seine Tarnung mittlerweile egal.

In der Eingangshalle wurden keine Forderungen gestellt, das war nie der Fall. Dort musste nichts zerstreut werden. Trotzdem schloss der Polizist hinter sich die Tür. Er ging ganz selbstverständlich davon aus, dass Manuel – der nie herausfand, wogegen sich der Protest dort draußen eigentlich richtete – ein Demonstrant war, der sich verstecken wollte. »Klappe halten, du Knilch«, zischte er mit unverhohlener Wut, eine herablassende und einschüchternde Anspielung auf Manuels zwergenhafte Statur.

Die Abgeschiedenheit der Eingangshalle förderte die Appetenz des Polizisten zutage. Er schleuderte Manuel gegen die Wand mit den Briefkästen, holte mit dem Schlagstock aus und peilte mit dem bewaffneten Arm die Schulter des Drangsalierten an. Er würde ihn schlagen – einfach, weil er es konnte. Oder weil er ihn an irgendjemanden erinnerte, aus moralischer Überzeugung oder beruflichem Eifer. Warum auch immer. Der Kerl hatte die Visage eines dieser Gemeingefährlichen, die nicht in der Lage sind, ein Formular am Schalter korrekt auszufüllen.

Manuel, der in jähen Situationen nicht selten von komplexem Vokabular heimgesucht wurde, stellte sich geschraubte Fragen. »Um wessen Willen dringt er hier ein?« Oder: »Mit welchem Recht bedrängt er mich?« Ein Camouflierter war im Begriff, ihn zweizuteilen, weil er ihn in flagranti dabei ertappt hatte, die Eingangshalle seines Wohnhauses verlassen zu wollen, um eine Churros-Presse zu erstehen.

Er ahnte, wie diese Episode enden würde, wenn er nicht unverzüglich handelte. Nicht mit einem Knüppelschlag, sondern der teerschwarzen Gewissheit, dass der Rechtsstaat den Eifer der Entrechtung über ihn legte. Er bezweifelte, dass er, wenn er den Schlag zuließ und später, als wäre nichts geschehen, in die Eisenwarenhandlung auf dem Paseo de Delicias ging, die Last tragen könnte, diesem bodenlosen Fass an Ungereimth