Kapitel 1
Planet Einsamkeit
Manchmal stürzen ungeahnte Herausforderungen kometenhaft auf uns zu. Dein Leben kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern und du kommst an Grenzen, Abgründe tun sich auf, von denen du nicht mal ahntest, wie nah du ihnen bist. Themen kommen an die Oberfläche, die du so tief unter deinem Alltagskorsett vergraben hattest, dass sie schon verarbeitet schienen.
Wie damals in meiner Mittagspause, als das Handy klingelte. Wenn du stehen bleibst, so wie ich an diesem Tag, als ich den Anruf von Carolin annahm, dann kann es dir passieren, dass du mitten in einem Kometenhagel landest. Erst merkst du gar nicht, wie tief die Einschläge sind, wie sehr es dich trifft. Aber nach dem ersten Aktionismus rutschst du immer tiefer hinein in eine Aufgabe, die zur Verantwortung wird. Du bist nett und höflich. Du bist sozial. Du versuchst einfach nicht wegzurennen. So wie ich auch. Ich versuche zu verstehen, was mir damals Unbekanntes begegnete. Ich fühlte in mich hinein. Hörte zu, versuchte zu spüren, um was es genau ging. Ich erkannte mich in diffusen Sprenkeln wieder und konnte nicht einfach weiterlaufen. Nicht weggehen. Versuchte zu helfen, wie vielleicht viele versuchen, einem Einsamen eine Hand zu reichen.
Aber erstmal zurück zum Anruf von Carolin.
Damals, als wir dauernd zwischen gemeinsamen Kochabenden, Kino und Radtouren durch Frankfurt hin und her titschten. Als die Tage für uns mit Freundschaft, Lachkrämpfen, kaltem Bier, Seelengesprächen, Umarmungen, Hula-Hoop-Reifen und Glücksmomenten angefüllt waren. Als die Kinder schon so groß waren, dass sie sich alleine anziehen und mit dem Bus zur Schule fahren konnten oder mit uns Frisbee spielten. Es waren Wochen, in denen wir vor Nähe und Liebe zum Leben fast platzten.
Dann klingelte mittags mein Telefon. Aus dem Döner tropfte die Joghurtsoße langsam über meinen Handrücken auf den Frankfurter Bürgersteig. Carolins Nummer auf dem Display. Wieso rief sie mich aus New York an?
»Caro. Klar, ich habe zwei Minuten Zeit. Schieß los, ich freue mich, deine Stimme zu hören. Wie spät ist es bei euch?« Ich zog die linke Schulter etwas höher, klemmte mein Handy ans Ohr und biss in den Döner.
»Früh am Morgen. Bärbel, du weißt doch, ich bin noch immer an dem Personal-Projekt dran, die strukturieren hier mehr um, als ich gedacht habe. Die Coachings laufen super, das Team wächst langsam zusammen. Ich komme voran, bin aber erst in zwei Wochen zurück.« Ein Polizeiwagen fährt mit lautem Sirenengeheul an mir vorbei. »Meine Schwester Ava hatte einen blöden Unfall. Sie liegt im Bürgerhospital.«
»What? Ist es was Schlimmes?«
»Ich kann erst am späten Nachmittag mit dem Arzt sprechen. Sie ist wohl irgendwo unglücklich runtergefallen. Wollte dich aber fragen, ob du die nächsten Tage ab und zu mal bei ihr vorbeischauen kannst, ein bisschen reden und so. Fragen, ob sie was braucht. Da sein. Du weißt schon.«
»Klar, Carolin, mache ich. Für dich immer. Kein Problem. Ava und ich kennen uns doch noch aus Köln, sie hat doch eine Zeitlang bei der Gästebetreuung in meinen Sendungen mitgemacht. Mann, was hat deine Schwester immer gestrahlt. Sie war gut im Beruhigen der aufgeregten Talk-Gäste vor ihrenTV-Auftritten. Jetzt beruhige ich eben sie. Wie alt ist sie jetzt eigentlich?«
»Achtunddreißig.«
»Hast du schon mit ihr sprechen können?« Ich beiße noch einmal in den triefenden Krautsalat und das fein geschnittene Fleisch, wische mir die Soße aus den Mundwinkeln, schaue auf die Uhr. Ich muss noch für meine Mutter zum Supermarkt, ihr die schweren Sachen und eine Kiste Wasser einkaufen und in die Wohnung stellen.
»Ja. Sie hat sich ein wenig verändert, Bärbel. Aber du kannst ja mit