: Elisabeth Rose
: Kinder denken einfach anders 20 wegweisende Erkenntnisse der psychologischen Forschung, die das Familienleben leichter machen
: Kösel
: 9783641281526
: 1
: CHF 6.10
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: Familie
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie unsere Kinder die Welt sehen
Obwohl wir alle einmal Kinder waren, können wir uns oft nur schwer in die Gedanken und Gefühle unseres Nachwuchses hineinversetzen - gerade in den ersten Lebensjahren entwickeln sich die Wahrnehmung und Fähigkeiten von Kindern rasant und grundlegend. Die psychologische Forschung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir Kinder immer besser verstehen, doch die wenigsten Eltern sind studierte Entwicklungspsychologen - und wundern sich schnell über scheinbar grundlose Wutanfälle oder ihr vermeintlich unsoziales Kind, das partout seine Spielsachen nicht teilen will. Die promovierte Psychologin Elisabeth Rose stellt die 20 wichtigsten Experimente vor, die unser Verständnis vom kindlichen Denken revolutionierten. So können Eltern einen guten Rahmen für Entwicklung schaffen und ihr Kind gelassener durch den trubeligen Familienalltag begleiten.

Dr. Elisabeth Rose studierte Psychologie in Regensburg und Melbourne. Nach dem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der Universität Bamberg. Parallel dazu begann sie die Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und sammelte praktische Berufserfahrung auf verschiedenen Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Daneben hält sie Lehrveranstaltungen für Studierende der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik. Elisabeth Rose lebt mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Söhnen in Nürnberg.

1. Das Baby hört mit!


Experiment zum vorgeburtlichen Spracherwerb

Die Studienteilnehmer dieses Experiments waren ungeborene Babys, denen die werdende Mutter zweimal täglich immer wieder die gleiche Geschichte vorlas. Wenige Wochen nach der Geburt wurden die Neugeborenen und ihre Mütter in ein Forschungslabor eingeladen. Die Wissenschaftler dieser Studie zeigten mittels eines einfallsreichen Versuchsaufbaus, dass die Babys nach der Geburt genau diese aus dem Mutterleib vertraute Geschichte wiedererkannten. Das Ergebnis liefert wichtige Hinweise über den Spracherwerb und die frühen Merkfähigkeiten im Säuglingsalter. Es zeigt aber auch, mit welchen Tricks sich Babys beruhigen lassen.

Das Forschungsteam nahm hochschwangere Frauen und ein Buch. In unserem ersten beeindruckenden Experiment sollten die werdenden Mütter Passagen eines Kinderbuches laut vorlesen. Warum? Weil Babys bereits im Mutterleib mithören und diese Geschichte nach der Geburt wiedererkennen. Diese verblüffende Tatsache erforschten Anthony DeCasper und Melanie Spence bereits im Jahr 1986. Dafür wurden Babys beobachtet, deren Mütter in den letzten sechs Wochen der Schwangerschaft zweimal täglich laut aus einem Kinderbuchklassiker vorgelesen hatten.

Nun wird es allerdings etwas anspruchsvoller, denn: Wie um alles in der Welt soll ein Neugeborenes mitteilen, dass es die Geschichte »wiedererkennt«? Außer schlafen, schreien und trinken können Babys doch noch nicht viel, oder? Weit gefehlt! Das werden uns diese sowie weitere Studien aus diesem Buch eindrücklich beweisen. Was Babys allemal können, und darüber sind wir uns jetzt schon einig: am Schnuller nuckeln. Denn sie haben ein angeborenes Saugbedürfnis. Und genau dies machten sich DeCasper, Spence und weitere kluge Köpfe unter den Entwicklungspsychologen zunutze. Was nun folgt, ist ein cleverer Versuchsaufbau, dem wir so einige Erkenntnisse der Säuglingsforschung zu verdanken haben. Psychologinnen nennen dies »das Habituations-Dishabituations-Paradigma«. Es beschreibt, wie schnell sich Babys an einen bestimmten Reiz gewöhnen.

Das Habituations-Dishabituations-Paradigma

Dieses Paradigma der Psychologie wurde entwickelt, um Fähigkeiten im Säuglingsalter zu erforschen. Hierbei werden Säuglingen Reize so lange gezeigt, bis eine Reizgewöhnung eintritt, dieHabituation. Sobald ein anderer Reiz präsentiert wird, kommt es für diesen neuen Reiz zu einer erneuten Steigerung der Aufmerksamkeit, sprich derDishabituation. In diesem Experiment spielt eine Unterform des Habituations-Dishabituations-Paradigmas eine Rolle, und zwar dieHigh-amplitude-sucking-Methode. Zur Erforschung akustischer Reize (in unserem Beispiel die von der Mutter vorgelesene Geschichte) nutzen Säuglingsforscher das Saugverhalten als Indikator dafür, ob ein Baby Interesse an dem Reiz hat, der ihm präsentiert wird. Je größer das Interesse an einem Reiz ist, desto länger und stärker saugen Babys am Schnuller (desto länger ist also auch die Zeitspanne, bis es habituiert und seine Saugstärke abnimmt).

Mithilfe dieser Methode zeigten DeCasper und Spence, dass die Mehrzahl der Säuglinge bei einer ihnen bekannten Geschichte stark am Schnuller nuckelte, sodass sie sie möglichst lange zu hören bekam. Die vertraute Geschichte schien ihr besonderes Interesse zu wecken. Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft keine Geschichte vorgelesen hatten – dies nennen Psychologinnen »dieKontrollbedingung« –, saugten deutlich kürzer und fanden die für sie unbekannten Geschichten wenig interessant. Daraus schlussfolgerten die beiden Forscher, dass Säuglinge eine Geschichte, die sie im Mutterleib mehrmals gehört haben, wiedererkennen können.

Die Kontrollbedingung

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