KAPITEL 1Der Anfang und das Ende
Mein erster Atemzug war friedlich. Alles in mir wehrte sich dagegen, die Augen zu öffnen. Wärme umhüllte mich. Ich war in Sicherheit. Mir ging es gut.
Wie lange hatte ich geschlafen? Wann hatte ich das letzte Mal so gut geschlafen? Ein Lächeln lag auf meinen Lippen. Für ein paar köstliche Sekunden ließ ich mich treiben.
Und dann schlug ich die Augen auf. Gold und Rot blitzten vor mir auf, zunächst unscharf, verschwommen. Ich blinzelte. Die Umrisse der Suite wurden immer schärfer. Ein Kronleuchter, eine antike Kommode, ein Deckenfresko.
Ich fuhr hoch. Der innere Frieden verschwand so schnell, wie er gekommen war. Die Erinnerung war erbarmungslos. In Tausenden Details flutete sie mein Hirn. Mein Keuchen erfüllte den Raum. Papa. Venedig. Tarot. Das Grand Hotel. Die großen Arkana. Malvolio. Cosima. Das Kartendeck.
Scheiße.
Mein Herz raste. Reflexartig fuhr meine Hand zu meinem Hals. Nichts. Trockene, glatte Haut. Ich schlug die Daunendecke zurück und kletterte aus dem Himmelbett. Wieso war ich hier aufgewacht? In diesem Zimmer? Wer hatte mich ins Bett gebracht?
Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte …
Malvolio. Der Junge, dem ich so vertraut hatte. Der Junge, der mich nach Strich und Faden belogen hatte. Sein Schrei. Seine weit aufgerissenen Augen, von Schock und Schmerz durchzogen. Die zweiundzwanzig Karten vor mir, beschmiert mit meinem Blut. Mit meinem und dem der anderen Nachfahren. Ich, mit einer Wunde am Hals und Entsetzen in den Augen. Wieso war es mir so vorgekommen, als hätte ich mich von außen betrachtet? Vermutlich lag es am Schock. Denn neben mir … Cosimas regungsloser Körper, das Messer in ihrem Brustkorb.
Cosima. Meine Mutter.
Du bist Lorenzos Tochter, durch und durch. Ich kann es mir nicht leisten, deinem Schwur zu glauben.
Meine Mutter, die mich hatte töten wollen.
Lebe wohl, Giulietta. Grüße Lorenzo, solltest du ihn wiedersehen. Ihr beide gehört zusammen.
Das Zimmer begann sich zu drehen, die Details verwischten erneut vor meinen Augen. Ich befand mich nicht in dem Raum, in dem alles sein Ende genommen hatte. Auf wackeligen Beinen wankte ich in den angrenzenden. Mein Herz schien vergessen zu haben, dass es schlagen sollte.
Ich schnappte immer wieder nach Luft, versuchte zu Atem zu kommen.
Endlich gelang es mir. Zumindest so lange, dass ich meine Umgebung erkennen konnte. Es war genau dieselbe Suite. Zimmer121. Zweifellos. Das hier war Cosimas Zimmer. Und außer mir befand sich niemand in ihm. Hektisch scannte ich den Raum. Mir war mit einem Mal so schlecht. Keine Spur von den Karten. Keine Spur von Cosima oder Malvolio. Als sei alles nur ein böser Traum gewesen.
Meine Beine gaben nach. Im nächsten Moment kauerte ich auf dem rot-goldenen Teppich. Meine Finger berührten etwas Hartes. Ich zwang mich, den Blick darauf zu richten, und schreckte prompt zurück. Getrocknetes Blut. Cosimas? Meines?
Ein Schluchzen entwich mir. Natürlich. Natürlich war niemand hier. Ich hatte sie eingesperrt. Ich hatte das Einzige getan, was mir noch übrig geblieben war, nachdem Malvolio mir das Leben gerettet hatte. Um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.
Du hast ein