„Ich bin zu Hause!“
Sven warf seinen Fahrradhelm in das entsprechende Fach im Garderobenschrank. Die Spezialhandschuhe folgten, zuletzt die Schuhe. Auf Socken lief er durch den laminatgedeckten Flur in die großzügig geschnittene Küche und lauschte der allumfassenden Stille im Haus.
Seine Eltern waren beide arbeiten. Sein Vater als Busfahrer im Schichtdienst, ihn bekam Sven manchmal eine ganze Woche lang kaum zu Gesicht. Seine Mutter war Röntgenassistentin in der hiesigen Klinik, ebenfalls im Schichtdienst. Entsprechend sah er sie keineswegs häufiger als seinen Vater, vor allem, seit sie vor über elf Jahren wieder in die Vollzeit eingestiegen war. Da war Sven gerade zehn geworden und seine kleine Schwester Esther acht.
Esther leistete gerade ein soziales Jahr in einer historischen Stiftung ab, um etwas Sinnvolles zu tun, während sie überlegte, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollte. Die Arbeit war recht interessant, zu Tode schuften musste sie sich hingegen nicht. Normalerweise war sie um diese Zeit zu Hause. Sie verbrachte allerdings so viel Zeit wie möglich mit Hendrik, ihrem Freund; und einer Idee, was sie beruflich mit sich anfangen wollte, hatte sie noch nicht entwickelt. Wann auch, wenn sie eigentlich ununterbrochen damit beschäftigt war, mit Hendrik abzuhängen, mit ihm zu chatten oder ihre Freundinnen zu nerven, wie verliebt sie doch war?
Sven schmunzelte nachsichtig. Als er mit Leonie zusammengekommen war, hatte er auch die ganze Welt wahnsinnig gemacht. Frisch Verliebte waren nun einmal anstrengend. Und irgendwie süß. Darum konnte er Esther gut verstehen und ihr verzeihen, dass sie im Augenblick zu nichts zu gebrauchen war.
Er schaute in den Kühlschrank, in der vagen, von vorneherein vergeblichen Hoffnung, dass seine Mutter es geschafft haben könnte, einen Großeinkauf zu leisten. Im Moment musste sie immer wieder in die Nachtschicht einspringen und hatte kurze Wechsel, weil mehrere Kollegen krank oder im Urlaub waren. Das waren die Tage, wo sie es verfluchte, in der Klinik zu arbeiten statt in einer Privatpraxis, wo sie strikt geregelte Arbeitszeiten hätte, keinen Wochenenddienst, keine Rufbereitschaft. Da würde sie allerdings auch erheblich weniger verdienen, weil die ganzen Zuschläge wegfallen würden. Darum wollte sie bleiben, wo sie war, damit sie sich weiterhin die Abtragung für dieses kleine Haus leisten konnten, das zweite Auto, die Kurzurlaube an der Nordsee. Als Busfahrer brachte sein Vater leider nicht genug nach Hause, um die Abschläge ausgleichen zu können, die bei einem Wechsel anfielen.
Sven seufzte innerlich. Esther und er würden in den nächsten Jahren ausziehen. Er, sobald er sein Studium beendet und einen Job gefunden hatte, Esther, sobald sie wusste, was sie wollte, und es entsprechend durchgezogen hatte. Dann würden seine Eltern allein in diesem Haus hocken. Es war nicht riesig, dafür alt. Ein Reihenendhaus aus den Sechzigern. Immer war irgendetwas kaputt, der Garten machte eher Arbeit als Freude. Eine hübsche kleine Wohnung mit Balkon wäre so viel sinnvoller, seiner Meinung nach. Ein zweites Auto brauchten seine Eltern eigentlich auch nicht zwanghaft, mit etwas Organisation kämen sie mit einem einzigen wunderbar zurecht. Dann könnte seine Mutter auf einen entspannteren Arbeitsplatz wechseln und die Nordsee wäre trotzdem noch drin. Aber das war ihr Leben, nicht seines.
Er betrachtete die wenigen Lebensmittel, die dieser Kühlschrank zu bieten hatte. Für ein Omelett würde es gerade noch reichen. Rasch schnitt er sich Frühlingszwiebeln, Kirschtomaten und Fetakäse auf, verquirlte Eier und hatte nach wenigen Minuten ein nettes Spätnachmittages