: Ute Zembsch
: Spielweib Historischer Roman
: Burgenwelt Verlag
: 9783943531930
: 1
: CHF 5.20
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
»Wenn wir den Menschen unsere Künste zeigen und sie staunen lassen, sind wir die Herrscher der Welt.« Hessengau, 11. Jahrhundert - Sisgard, jüngste Tochter des Freiherrn von der Ehrenburg, soll im Kloster das Seelenheil der Familie sichern. Die strengen Regeln, aber auch ein Trauma aus ihrer Vergangenheit lassen den Ort für sie zu einem Gefängnis werden. Ein heimlicher Ausflug lässt ihren ständigen Konflikt mit der Priorin eskalieren. Sie flieht und schließt sich einer Gruppe Spielleute an. Für Sisgard eröffnet sich eine ganz neue, aber auch gefährliche Welt. Sie kann endlich ihre Freiheit genießen. Ist das Leben als Spielweib ihr Schicksal? Als sie zufällig einer Intrige auf die Spur kommt, die ihre Familie und das Volk bedroht, muss sie sich entscheiden ... Nach der erfolgreichen Henkersweib-Reihe stellt uns Ute Zembsch nun das »Spielweib« vor - ein packendes historisches Abenteuer voller Geheimnisse, Intrigen und romantischen Verwicklungen.

Ute Zembsch, geb. in Marburg, lebt mit ihrem Mann in Frankenberg/Eder. Die bauchtanzende Bürokauffrau ist Mitbegründerin eines Vereins für erlebbares Mittelalter und schlüpft auch als Pen-and-Paper-Rollenspielerin in verschiedene Charaktere. 2013 kreierte sie für ihre Lieblingsfigur einen Werdegang in Romanlänge und entdeckte so das kreative Schreiben endgültig für sich. Seither lebt sie ihr Schreibfieber mit historischen und fantastischen Geschichten aus.

Kapitel 1

 

Sisgard zupfte die Saiten der Leier, ihre Stimme klang für sie wie aus der Ferne. Ein kühler Windhauch streifte ihre Wange. Hätte sie doch Flügel, die sie mit dem Wind davontragen könnten. Aus dem Herzen heraus formten sich die Worte auf ihren Lippen. Sie erzählten von einer Amsel, die ein Bauernsohn für sein Liebchen gefangen hatte. Sisgard fühlte die Sehnsucht des Singvogels danach, seine Freiheit zu erlangen und vom höchsten Ast einer Linde aus den Regen auf seinen Federn zu spüren.

Die Glocke erklang. Sisgard riss die Augen auf. Der Ruf zur Vesper. Da war die Wirklichkeit wieder, der sie nur in ihren Träumen entfliehen konnte. Sie blickte in Gesichter mit schwärmerischem Ausdruck, und manch eine Näharbeit ruhte auf dem Schoß. Die ersten Schwestern erhoben sich, auch Sisgard stand von der Bank im Kreuzgang auf, legte die Leier beiseite und schlug den Weg zur Kirche ein. Hoch über dem Gotteshaus flog eine Saatkrähe. Sisgard blieb stehen und schaute genauer. Eine schwarze Feder schwebte direkt vor ihr gen Boden. Unbarmherzig rief die Glocke weiter zum Gebet. Schnell fing Sisgard die Feder und verbarg sie wie einen Schatz in ihrem Ärmel. Sie reihte sich wieder in die Prozession ein, mit der seit drei Sommern geübten Unschuldsmiene.

»Du könntest unsere Vorsängerin beerben«, flüsterte Grete ihr zu. »Deine Stimme ist viel schöner.«

Sisgard lächelte über die Schmeichelei ihrer Freundin. Singen war das Einzige, dem sie sich leidenschaftlich hingab. Es versüßte ihr den Alltag. Durch ein Amt würde sie sich jedoch endgültig an das Kloster binden. Das wollte sie so lange wie möglich hinauszögern. »Warum hast du noch nicht das Gelübde abgelegt?«

»Im Gegensatz zu dir bin ich die einzige Tochter meiner Eltern. Ich soll lernen, meinem künftigen Gemahl ein gutes Weib zu werden.« Grete zuckte leichthin die Schultern.

Beide waren sie anno 1047 dem Kloster Werbe beigetreten und lebten seither nach den Regeln, die der Heilige Benedikt gelehrt hatte: Gehorsamkeit, Schweigen, Demut.

Sisgard schüttelte sich. »Findest du das wirklich so erstrebenswert? Denk an die Heilige Notburga von Hochhausen, derer wir heute Morgen gedachten.«

Kurz blieb Grete stehen. »Aber sie war einem grausamen Mann versprochen. Da widmete sie doch besser ihr Leben der Nächstenliebe. Gott schickte sogar seine Engel, um ihre Seele nach ihrem Tod abzuholen.«

»Sie hatte selbst entschieden, eine Einsiedlerin zu sein.« Eine Wahl, die Sisgards Vater ihr verwehrte.

Vor der Kirchentür schaute sie zu den Spatzen, die unter den ersten gefallenen Blättern nach Nahrung suchten. Zumindest schenkte die Sonne noch in der Mitte des Holzmonds ihre Wärme und gönnte so den Nonnen und Novizinnen oft, im Freien zu sein.

Sisgard atmete tief durch und trat ein. Morgen, am Sonntag, würden die Gläubigen aus dem Dorf Werbe etwas Abwechslung bringen. Dieser weiß verputzte Steinbau, geschmückt mit farbigen Bildnissen von Heiligen, sah immerhin am Tag freundlich aus. Wäre da nicht der Leidende, der ans Holzkreuz genagelt auf die armen Seelen herabblickte.

Sisgard kniete an ihrem Platz in der Reihe der Novizinnen auf dem Steinboden nieder. Vor dem Altar harrte bereits die Priorin ihrer kleinen Gemeinschaft von zwanzig jungen und älteren Weibern aus. Diese ließ ihren prüfenden Blick schweifen und erhob die Hände.