ICH ERINNERE MICH NOCH, dass mit einem Mal kein Prasseln mehr zu hören gewesen war. Das ist seltsamerweise das Erste, was mir einfällt, wenn ich an diesen Tag zurückdenke. Und wie eigenartig sich der Morgen anfühlte. Die Dämmerung. Verschobene Konturen, als blickte man durch Wasser.
Verzerrt von oben und erst dann klarer zu erkennen, wenn man schließlich untertaucht und unter Wasser die Augen öffnet.
Damals, an diesem 31. August 1999.
Da sind wir.
Jacky. Viktor. Ich.
Eine Freundschaft.
Eine Liebe.
Und ein Tod.
Und das ist die Geschichte.
Plötzlich war ich wach. Ich schaute auf vergilbte Raufasertapete. Dann im Halbdunkel durch den Raum. Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte. Ich wusste nur, dass ich nicht wach sein wollte. Vor allem nicht um diese Uhrzeit. Ich hatte geträumt. Und ich wollte zurück in meinen Traum.
Es hatte geregnet. Doch jetzt, im Morgengrauen, schien der Regen endlich aufgehört zu haben, was bedeutete, dass ich mein Dachfenster endlich aufschieben konnte. Ohne meinen Traum loszulassen.
Ein Mädchen. Das Gesicht von Anna. Die Locken von Ayla. Und sie fandmich gut.
In meinem Traum sah ich aus wie ich. Fast. Ich war etwas über einsachtzig, blond und hatte die Haare kurz geschoren. Nur war ich in diesem Traum nicht erst fünfzehn. Und ich hatte ein kantiges, männliches Gesicht. Nicht so ein weiches, blasses mit Augenringen. In dieser Parallelwelt war ich durchtrainiert. Und nicht so dürr, dass es mir die Rippenbögen rausdrückte. Und mein Brustkorb war … normal. Ich dachte: Warum bin ich jetzt hier und nicht mehr dort?
Ein okayer Satz. Musste ich mir merken.
Ich schriebWarum bin ich jetzt hier und nicht mehr dort? in mein zerfleddertes Notizbuch, das immer auf meinem Nachttisch lag, das ich hütete wie einen Schatz und das voll war mit Gedanken, Entwürfen und Geschichten. Und Träume lieferten die besten Geschichten. Mit dem, was andere so erlebten.
Dass ich Geschichten schrieb, das hatte ich noch nie jemandem erzählt. Es gab Dinge, über die ich mit niemandem sprach. Weil mich sonst alle nur für einen noch größeren Loser halten würden. Das mit dem Schreiben, dass ich Autor werden und Romane veröffentlichen wollte, das wusste nicht einmal mein bester Freund Viktor.
Ich kroch aus meinem Bett. Die nächtlichen Schauer waren tatsächlich vorüber, und es nieselte nicht einmal mehr. Träge öffnete ich mein Dachfenster. Die Strahlen der aufgehenden Sonne blitzten in den Tropfen, die in den Bäumen der Nachbarsgärten hingen.
Draußen war niemand.
Ich stützte mich am Fensterrahmen ab und atmete tief ein wie Apnoetaucher vor einem Rekordversuch. Es roch nach nassem Teer und gemähtem Rasen. Durch die frische Luft merkte ich erst, wie abgestanden die hier drinnen war. Wie warm.Davon bin ich aufgewacht, dachte ich.Das hatte mich aus meinem Traum gezogen.
Nochmals atmete ich ein. Bis die Lunge stach. Die hereinströmende Brise streifte meine Haut. Wenn ich alleine war, konnte ich immerhin ohne T-Shirt schlafen. Sonst hielt man es in meinem Zimmer im dritten Stock unter der Dachschräge eigentlich nicht aus.
Obwohl der Morgen kühl war, spürte man bereits, dass das Thermometer wieder zu steigen begonnen hatte. Der letzte Tag dieses Augusts 1999 würde noch einmal ein heißer Sommertag. Nochmals tropisch, hatte es im Wetterbericht geheißen. Scheiße! Die Hitze mochte ich einfach nicht. Ich mochte den Sommer nicht mehr, seit ich nicht mehr schwimmen konnte.
Mein Oberkörper spiegelte sich in der Glasscheibe des offen stehenden Fensters. Ich drehte mich schnell weg und zog den Vorhang zu. Staub wirbelte im Licht wie ein Krillschwarm, ich in der Mitte wie ein Wal. Wie in der Naturdoku gestern. Ozeane. Krasse Bilder. Wobei nach einem halben Joint, musste ich zugeben, alles auf meinem Röhrenfernseher krasse Bilder waren.
Ein Auge zugekniffen, das andere ei